Hoffnung auf ein neues Leben – Liebe wagen gegen die Angst
von Dr. Wolf-Jürgen Maurer
Wie viele Menschen sind blind geworden in Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit für die Schönheit und Würde des eigenen wahren Wesens?
Wie viele Menschen sind wie verätzt von dem Gefühl der Scham, der Unreinheit und der Verwundung durch andere?
Wie sehr haben wir zugelassen, dass Angst unser Leben erstickt und uns aus vermeintlichem Selbstschutz von unserer Liebensfähigkeit abgeschnitten?
Immer findet und erfindet unser KZ-ähnlich umzäuntes Leben im Getto der Angst Gründe, sich selber zu schützen, sich weiter zu verbarrikadieren.
Am Ende gibt es nur noch die Bestimmungen des Äußeren. „Man“ lebt nicht mehr, man wird gelebt.
Was nennen wir Menschen Geschichte außer eben die Verwaltung der Egoismen und Eitelkeiten im Kleinen und im Großen? Man schlägt die Zeitung auf und liest, dies sei die gute Nachricht: zu Weihnachten dürfen wir im Einzelhandel wieder einmal mit einem großen Umsatz rechnen, denn das Konsumverhalten steigt, und es ist ein guter Mensch, dessen Konsumverhalten steigt, er sorgt für die Erweiterung der Absatzmärkte, die Erweiterung der Investitionen, der Fortschritt greift, eine gute Nachricht.
Wachen wir auf! Es ist, weiß Gott, möglich, sich noch für etwas anderes zu engagieren als den verdammten Geldbeutel, es gibt Hoffnungen und Visionen der Menschlichkeit, die über den verwalteten Egoismus und Eitelkeit hinausgehen, und es ist ganz sicher, dass wir uns den Ruin schaufeln, wenn wir nur so weitermachen wie bisher in Sicherheit, Herzensträgheit, Gedankenfaulheit und Sattheit!
Es lohnt sich andererseits auch nicht, vor Katastrophen Angst zu haben, schon gar nicht vor solchen, die nur reinigen können. Es lohnt sich nicht, Untergänge zu fürchten, die nur überleiten zu einer wahreren Form des Menschseins. Wie viel eigentlich an Tödlichem, an ganz Alltäglichem muss in uns sterben, ehe wir anfangen können, wirklich zu leben? Wie viel Freiheit von den Scheinsicherungen, den künstlichen Verführungen, den Wortverfälschungen aller Werte und Begriffe brauchen wir noch, ehe wir uns trauen, ein Leben zu führen, das den Namen verdient?
Was ist zu tun, wenn Menschen schließlich so sehr mit ihrem Un-Leben identifiziert sind, dass sie die Möglichkeit ihrer wirklichen Existenz voller Schrecken zu fürchten beginnen, dass sie den Ruf ihrer Seele ins Weite wie einen Schwindel und Taumel erfahren?
Selig die Armen. Selig die Weinenden. Selig, die noch trauern können, über diese – oft möchte man sagen: gottverdammte – Erde trauern können. Sie werden Hoffnung haben. Sie sind nicht lebendig tot. Sie sind noch nicht begraben.
Nehmen wir uns in Acht, hüten wir uns vor dem Rausch, der Besoffenheit und den Sorgen des Alltags. So kann man’s machen, so werden wir uns anpassen, wenn wir wollen, dass wir mit dabei sind und mitmachen, wie man es vormacht, das Leben als Party und als Fete oder als ein bewusstloses Verdösen oder als ein Vor-sich-hin-Wühlen und Rödeln nach der Art der Maulwürfe im Dunkeln.
Reif für die Heilung sind eigentlich nur diejenigen, die das Leiden noch nicht ganz verlernt haben, die die Hoffnung und die Sehnsucht nach einem anderen Leben noch nicht gänzlich aufgegeben haben, die m. a. W. noch fähig sind zu weinen.
Die unter der Hornhaut auf der Seele zu Ihrer eigenen menschlichen Verletzlichkeit stehen und sie bekennen.
Selig sind sie zu nennen, weil sie allein noch verletzbar genug sind, um das übliche Dahinvegetieren unerträglich zu finden und an ein anderes Leben mit aller Leidenschaft zu glauben.
Wir haben ein Recht, die Liebe zu wagen gegen die Angst. Wir haben die Möglichkeit, unser Herz zu weiten gegen die Erstickung. Wir haben Grund zur Hoffnung, jenseits der Gräber, jenseits des Todes, jenseits des Zusammenbruchs. Wenn der Vorhang zerreißt, sehen unsere Augen das Licht.
Menschen können in wenigen Augenblicken ungeahnte Kräfte freisetzen, wenn sie nur erst wissen und spüren, dass es jetzt ein für alle Mal darauf ankommt; dann streifen sie alle Angst ab, brechen die Enge auf und halten sich mutig an ihr stärkeres, an ihr eigentliches Leben und Wesen.
Ein Mensch beginnt überhaupt erst zu leben, wenn er als Individuum zu existieren anfängt und sich in seinem Dasein von den anderen als Person unterscheidet, sich selbst bedingungslos bejaht und sich seiner selbst bewusst wird.
In uns selber und in jedem Menschen an unserer Seite lebt alles, wozu wir eigentlich bestimmt sind. Im Herzen eines jeden Menschen lässt sich die Unendlichkeit des Himmels, die grenzenlose Schönheit der eigenen Seele, der Lockruf zur Weite einer unbegrenzten Freiheit entdecken und vernehmen.
Machen wir uns gegenseitig Mut, an den Traum des eigenen Lebens wirklich zu glauben. Denken wir nicht, das Heil komme irgendwie von weit außerhalb unseres eigenen Lebens; vielmehr sollte jeder sein Vertrauen darauf setzen, dass gerade in den kühnsten Visionen seiner selbst die wahre Gestalt seines Wesens sichtbar werde. Niemals also sollten wir unsere Kindheitsträumen verraten oder ihnen in Resignation abschwören. Glauben wir an uns, fühlen wir den Wert der eigenen Person und schlagen die Augen auf für die Schönheit und die Größe, die in uns liegt und die einen jeden Menschen, den wir näher kennenlernen, auszeichnet!
Wagen wir Liebe gegen die Angst!
Immer weniger fürchten und immer mehr lieben. Das heißt Ankommen, das ist der Weg nach Hause, ins Leben. Machen wir`s wie Gott, werden wir Mensch.
Das wünscht Ihnen in der Zeit zwischen den Jahren …und zum Neuen Jahr,
Dr. Wolf Maurer