Neujahrswunsch 2018
von Dr. med. Wolf-Jürgen Maurer
„Herr, gib mir Geduld, aber zackig!!!“ ist so ein moderner Leitspruch geworden.
Alles soll funktionieren wie geschmiert, auch das Selbst. Wir wollen alles kontrollieren, wir machen Druck und manipulieren. Wir sind angenervt, wenn etwas nicht nach unserer Vorstellung läuft.
Wir beschleunigen alle Abläufe, angeblich um Zeit zu sparen. Wir können und wollen immer weniger warten. Wir geben den Dingen nicht mehr die Zeit, die sie für eine gute Entwicklung wesentlich brauchen.
Gut Ding braucht Weile ist ein mittlerweile quasi ausgestorbener anachronistischer Satz. Denn mit der durch Druck und Hektik gewonnenen Zeit produzieren wir Langeweile, die wir nicht als Zeit für Muße schätzen, sondern fürchten.
Wir pendeln zwischen Stress und Langeweile hin und her. So stopfen wir unser Leben gleich wieder voll mit Ungeduldigem und Unnötigem aus Angst vor der Leere und Gefühlen, die uns einholen könnten.
Wir fürchten den Kontakt mit unserer Seele, und geben noch mehr Gas. Bis uns die Kontrolle, das Leben, ja wir uns selbst immer mehr entgleiten.
Wir haben keine Zeit, Geduld schon gar nicht, und je mehr unsere Illusion von Kontrolle platzt, um so mehr beschleunigen wir, wie ein alter Rasenmäher, der noch´mal aufröhrt, kurz bevor er ausgebrannt abschmiert und nichts mehr geht.
Krankheit verschafft uns dann Zeit, die nötig wäre, dem Nachzusinnen und Nachzuspüren, was Wesentlich ist, was unsere Seele uns sagen will. Wo wir die Ansprüche unseres Egos loslassen sollten, um uns selbst wieder zu gewinnen, um die eigene Lebendigkeit wieder zu spüren.
Aber auch als “patiens“ (der geduldig Hinnehmende), als leidender Patient fehlt uns die Geduld. Doch die Seele geht zu Fuß. Unser Hirn braucht Pausen. Wer doch mal Pause macht entdeckt,“der Sinn des Lebens ist nicht Turbo und nicht Tempo“. Sondern auch Muße, Ruhe, An- und Innehalten und vor allem Geduld.
Das können wir aus der Natur, von der wir Teil sind, lernen. Gerade in der Zeit zwischen den Jahren, wo die Natur ruht, um Kraft zu sammeln für Verwandlung und Transformation und um Neues Leben zu gebären.
In Erinnerung bleibt eine Passage aus dem Roman des griechischen Schriftstellers Nikos Kazantzakis, den meisten wahrscheinlich von dem legendären gleichnamigen Film “Alexis Sorbas“ bekannt, mit der er verdeutlicht, wie schädlich und wie wenig naturgemäß die menschliche Ungeduld ist.
Er lässt seine Hauptfigur erzählen:
„Ich erinnere mich eines morgens, an dem ich auf einem Baume eine Schmetterlingspuppe entdeckt hatte. Der Schmetterling hatte gerade die Hülle gesprengt und schickte sich an, auszuschlüpfen.
Ich wartete lange, ungeduldig, denn ich hatte es eilig. Ich beugte mich darüber und begann, ihn mit meinem Atem zu wärmen. Ich hauchte ihn ungeduldig an und das Wunder begann sich vor meinen Augen in einem rascheren Ablauf als natürlich zu entfalten. Die Hülle öffnete sich ganz, der Schmetterling kroch heraus.
Aber nie werde ich mein Entsetzen vergessen: Seine Flügel waren noch gekrümmt und zerknittert. Der kleine Körper zitterte und suchte sie zu spannen, aber es war unmöglich. Auch ich versuchte, ihm mit meinem Atem zu helfen, doch umsonst.
Ein allmähliches Reifen war nötig, die Flügel hätten sich langsam in der Sonne entfalten müssen, jetzt war es zu spät. Mein Atem hatte den Schmetterling gezwungen, zu früh auszukriechen, ein Siebenmonatskind. Er zappelte verzweifelt und starb nach einigen Sekunden auf meiner flachen Hand. Diese kleine Leiche, glaube ich, ist die schwerste Last, die mein Gewissen bedrückt.
Heute begreife ich erst richtig, dass es eine Todsünde ist, die ewigen Gesetze zu vergewaltigen.
Wir haben die Pflicht, dem ewigen Rhythmus der Natur mit Vertrauen zu folgen.
Ich setzte mich auf einen Stein, um mich in aller Ruhe mit diesem Neujahresgedanken vertraut zu machen.
Ach, sagte ich mir, käme doch mein Leben im neuen Jahr ohne diese hysterische Ungeduld aus! Könnte doch dieser kleine Schmetterling, den ich in meiner Eile und Ungeduld umbrachte, immer vor mir her flattern, um mir den richtigen Weg zu zeigen und um so einem Geschwister von ihm, einer menschlichen Seele, beizubringen, sich nicht zu beeilen und seine Flügel in langsamem Tempo zur Entfaltung zu bringen.“
Wir sind zu einer “Gesellschaft von Ungeduldigen“ geworden.
„Stärke aber wächst im Garten der Geduld“ sagt ein Sprichwort.
Mehr Geduld also scheint mir ein guter Neujahrswunsch zu sein.
Einer, den ich mir selbst erfüllen möchte.
Nach und nach.
Ein
geduldiges Neues Jahr
wünscht Ihnen
Ihr Dr. Wolf Maurer
(Nacherzählt nach einem Artikel von Verena Grein, Zitate aus Kazantzakis „Alexis Sorbas“)