Bewusstseinstexte Dr. W.-J. Maurer

Angst als Seelenfresser oder Lebenswecker – Behandlung von Angsterkrankungen

von Dr. med. Wolf-Jürgen Maurer

 

Wie der Umgang mit der Angst krank macht – oder zu mehr Lebenserfüllung führt

Jeder Mensch kennt Ängste. Nur wenige sprechen darüber oder zeigen sie. Viele von uns hassen eigene Schwächen und Unsicherheiten. Sie wollen nach außen stark wirken, basteln an einer coolen Fassade und unterdrücken eigene berechtigte Bedürfnisse in einem einengenden Lebens- und Beziehungsarrangement. Doch dieses Verhalten rächt sich häufig. Die geballten unterdrückten Gefühle brechen sich Bahn in einer Angst- und Panikattacke. Im Kampf gegen die Angst und infolge von Kontroll- und Vermeidungsstrategien verlieren viele Menschen immer mehr an Lebensspielräumen und Lebendigkeit. Die Angst breitet sich dadurch aus und nistet sich nur noch mehr im Leben und in der Seele ein. Was ist der Teufelskreislauf der Angstentwicklung? Welche Behandlungsmöglichkeiten und Selbsthilfe gibt es und wie können Ängste sogar als Lebenswecker, als Hinweis für eigene Sehnsüchte und Entwicklungswünsche genutzt werden, so dass eine Befreiung und ein erfüllteres authentischeres selbstbestimmtes Leben möglich wird?

Dies erkläre ich pragmatisch, plastisch und anschaulich an Beispielen aus meinem Klinik- und Praxisalltag im Hörbuch Psychosomatik Scheidegg Band 2: Angst als Seelenfresser oder Lebenswecker

 

Im Anhang skizziere ich das Behandlungskonzept der Privatklinik der Panoramafachkliniken Scheidegg für Patienten mit Angststörungen:

In der Panorama Fachklinik werden sämtliche neurotischen Angststörungen behandelt:

  • Panikstörung,

  • Agoraphobie mit/ohne Panikstörung,

  • Soziale Phobie,

  • Generalisierte Angststörung,

  • Schwere spezifische Phobien.

Die Behandlung orientiert sich an den S1-Praxisleitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde. Entsprechend der multifaktoriellen Genese mit intrapsychischen, psychosozialen und biologischen Erkrankungsfaktoren, die ineinandergreifen, werden die Patienten in der Panorama Fachklinik nach einem multimethodalen psychotherapeutischen und psychiatrischen Konzept behandelt, das schwerpunktmäßig kognitiv-verhaltentherapeutische als auch interpersonelle, systemische und ressourcenorientierte Ansätze je nach Vorbehandlung und individueller Passung integriert. Es erfolgen 2-mal wöchentliche Einzelgespräche mit dem Bezugstherapeuten sowie 2-mal wöchentliche interaktionelle Gesprächsgruppen zur Förderung von sozialer Kompetenz-, Konflikt- und Kontaktfähigkeit. Ergänzt wird dieses Konzept durch verschiedene Sport- und Bewegungstherapie, physikalische Therapie und Entspannungsverfahren, Naturheilverfahren, kunst- und tanztherapeutische sowie körperorientierte Therapieverfahren in Gruppenanwendungen sowie 2-mal wöchentlich stattfindender Psychoedukation bzgl. ihres Krankheitsbildes und psychosomatischen Themen.

Aufnahme in die Panorama Fachklinik finden Patienten mit Angststörungen vor allem, wenn diese entweder chronifiziert sind mit entsprechenden Einschränkungen der Teilhabe am beruflichen und gesellschaftlichen Leben mit einhergehendem ausgeprägtem Vermeidungs-verhalten, sozialem Rückzugsverhalten, Arbeitsunfähigkeit und Konfliktvermeidung sowie einhergehenden Einschränkungen der sozialen Kompetenz und/oder wenn wegen der ausgeprägten Angststörung Therapieresistenz mit ambulant-therapeutischen Maßnahmen vorliegt oder ambulante Behandlungen nicht ausreichend waren, um den Patienten wieder die Teilhabe am gesellschaftlich-beruflichen Leben zu ermöglichen.

Bezüglich der Teilhabe können die bei uns behandelten Angst-Patienten ihre Belastungs-grenzen in privaten oder beruflichen Beziehungen selbst schlecht wahrnehmen und noch schlechter schützen, mit Defiziten der Konflikt- und Abgrenzungsfähigkeit und mangelnder Fähigkeit für Selbstfürsorge bei zugrunde liegenden Autonomie-Abhängigkeits-Konflikten, Verlust- und Trennungsängsten, sodass es immer wieder zu abhängiger Beziehungsgestaltung, Unterdrückung von berechtigten Autonomiebedürfnissen kam mit Rückzug aus nahen Beziehungen, Scheitern von privaten Beziehungen, Vermeidung der Teilnahme an gesellschaftlichen, öffentlichen Veranstaltungen wegen Schamängsten, und wegen dekompensierten Angststörungen und ausgeprägtem Vermeidungsverhalten nach Kränkungs- oder Konflikterleben am Arbeitsplatz länger bestehender Arbeitsunfähigkeit und Krankschreibung.

Diese Teilhabeeinschränkungen sind dann auch wesentliche Behandlungsziele, die zu Beginn der Behandlung gemeinsam mit dem Patienten transparent erfasst werden. Therapiewünsche und Erwartungen des Patienten werden zu Beginn der Behandlung erfragt, ebenso wie Einschränkungen der Lebensqualität, der Teilnahme an beruflichen und gesellschaftlichen Lebensbezügen, die durch die Symptomatik bedingt sind. Parallel zur Festigung eines Arbeitsbündnisses mit dem Bezugstherapeuten wird der Patient auch transparent informiert über Therapiemöglichkeiten, um die individuellen Ziele zu erreichen, ebenso auch über die Alternativen hierzu im Behandlungssetting, als auch über die Kombinationsmöglichkeit von Einzel-, Gruppen- und körperorientierter Psychotherapie und psychopharmakologischer Behandlung.

Neben der diagnostischen Einordnung des Angstsyndroms (inklusive Traumadiagnostik zum Erkennen oder Ausschluss einer PTBS/ dissoziativen Störung- in diesem Falle erfolgt phasenspezifische Therapie nach den Prinzipien der Behandlung von Traumafolgesymptomen inklusive imaginativer und achtsamkeitsbasierter Stabilisierungstechniken nach Reddemann und Expositionstherapie mit z.B. Bildschirmtechnik oder z.B. EMDR) erfolgt eine allgemein körperliche internistische, neurologische und Labordiagnostik inkl. EKG zum Erkennen und Ausschluss von somatischen Erkrankungen, endogener Psychosen, Abhängigkeitserkrankungen oder Komorbidität.

Dann wird im Team gemeinsam mit Oberarzt oder Chefarzt vom Bezugstherapeuten eine individuelle Therapieplanung erstellt unter Organisation der interdisziplinären Zusammen-arbeit zwischen Pflegepersonal, Bezugstherapeut, organmedizinisch behandelnden Ärzten, physikalischen Therapeuten und Körpertherapeuten (Tanz-/Kunsttherapeuten).

Die komplexen chronifizierten oder therapieresistenten Angstsymptome erfordern die inter-disziplinäre Zusammenarbeit nach einem gemeinsamen Therapiekonzept, um die Fähigkeit der Emotionswahrnehmung, Affektdifferenzierung, Emotionsregulierung, Körperwahrnehmung, Entspannungsfähigkeit und Konfliktfähigkeit im interpersonellen Raum zu verbessern.

Das übergreifende Behandlungskonzept der Panorama Fachklinik arbeitet nach den Prinzipien der von Grawe formulierten sog. allgemeinen Psychotherapie mit den Wirk-faktoren:

  1. Problemklärung,

  2. Problemaktualisierung,

  3. Problembewältigung und

  4. Ressourcenaktivierung.

Hier wird auch im Sinne der Bindungsforschung auf den Aufbau einer sicheren, vertrauens-vollen therapeutischen Arbeitsbeziehung großen Wert gelegt im Sinne eines „sicheren Hafens“ bzw. einer ausreichenden Objektstützung. Neben der Problemanamnese und Defizitaufdeckung des Patienten werden von Anfang an auch die Ressourcen aktiv exploriert, um dem Patienten möglichst rasch Erfolgs- und Selbstwirksamkeitserlebnisse zu verschaffen, um hiermit das angeschlagene Selbstwertgefühl des Patienten zu verbessern.

Je nach therapeutischen Vorerfahrungen und bisherigem Ansprechen erfolgt entweder eine mehr symptomzentrierte kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlung mit Vermittlung eines Angstmodells, Erarbeitung einer Angsthierarchie und Expositionsbehandlung; zusätzlich erfolgt mithilfe kognitiv-verhaltenstherapeutischer Methoden Realitätsprüfung und kognitive Entzerrung. Individuell können noch Entspannungsverfahren und hypnotherapeutische Interventionen zur Senkung des Angst-Stress-Levels und Reduktion der aufrechterhaltenen Bedingungen zur Anwendung kommen.

Bei ausgeprägter Angst vor der Angst, bei bereits erfolgten Angstexpositionen ohne bisherige ausreichende Symptombesserung, erfolgt interpersonelles Arbeiten im Sinne psychodynamisch-interaktioneller Psychotherapie und die Integration mit systemtherapeutischen Ansätzen, um die Funktion der Symptomatik im interpersonellen Raum zu eruieren:

Was gewinnt der Patient im Sinne eines psychosozialen Arrangements durch die Persistenz seiner Symptome?

Was kann der Patient wegen seiner Symptome im beruflichen und privaten Umfeld vermeiden?

Welche Defizite im emotional-sozialen Kompetenzbereich halten die Symptomatik aufrecht? Zum Beispiel mangelnde Emotionsregulationsfähigkeiten, mangelnde Konfliktfähigkeiten, labile Selbstwertregulation.

Stets wird allerdings im Therapieverlauf der Patient dazu angeleitet, unangenehme Emotionen zu explorieren, Affekttoleranz zu üben und sich vermiedenen Situationen zu stellen im Sinne einer Expositions- und Konfrontationstherapie.

Wenn ungünstige Beziehungsmuster die Symptomatik aufrechterhalten, werden im Sinne der Verbesserung von Partizipationsmöglichkeiten unter systemtherapeutischen Gesichts-punkten auch Familien- und Paargespräche durchgeführt unter Einbeziehung der Bezugs-partner, um die eingeschränkte interpersonelle Funktionsfähigkeit gemeinsam zu ver-bessern.

Im Rollenspiel werden sowohl im Einzel- als auch in der Gruppentherapie angstauslösende zwischenmenschliche Situationen, auch am Arbeitsplatz, durchgespielt und nach neuen Lösungsalternativen im eigenen Verhalten gesucht und eingeübt.

Von Anfang wird die Begrenzung der Therapiedauer im kurzzeittherapeutischen Setting mit dem Patienten thematisiert, um fokuszentriert zu arbeiten, zugrunde liegende Verlust- und Trennungsängste von Anfang an im Auge zu behalten und zu bearbeiten.

Gegen Ende der Therapie werden Transfermöglichkeiten in den Alltag mit dem Patienten ge-meinsam in der Einzel- und Gruppentherapie erarbeitet, mögliche Schwierigkeiten antizipiert und Bewältigungsstrategien erarbeitet sowie im Rahmen der Therapiegemeinschaft den Patienten Übungsmöglichkeiten über sog. erlebnisorientierte „Hausaufgaben“ verschafft.

Es erfolgen dann Empfehlungen für ambulant therapeutische notwendige Weiterversorgung, mit der Möglichkeit der Teilnahme an unserer Internet-Nachsorge für drei Monate, um das hier Erreichte zu stabilisieren und die Weiterversorgung durch ambulant-therapeutische Maßnahmen zu überbrücken. Empfehlungen für ggf. notwendige stufenweise Wiederein-gliederung oder Einschränkung der Belastungsfähigkeit am Arbeitsplatz mit Empfehlungen für Arbeitsplatzumsetzungen werden therapeutisch erarbeitet und dem Patienten mitge-geben.

Die gesamte Behandlung wird mit unserem QS-Assessment der Forschungsstelle für Psychotherapie (Leiter Herr Kordy) begleitet. Die Patienten füllen Qualitätsfragebögen am PC aus und der Therapeut erhält am Anfang, im Verlauf, als auch gegen Ende der Behandlung einen Computerausdruck und kann so die Therapie je nach Feedback optimal nachjustieren.

Teambesprechungen, Fall-Supervisionen und chef-/oberärztliche Visiten mit dem Ziel der Integration der Therapieansätze, Feststellung des Therapiefortschrittes, Entdeckung von Schwierigkeiten im Therapieverlauf und Aufdeckung der Notwendigkeit der kombinierten Behandlung mit Psychopharmaka erfolgen regelmäßig.

Ergänzung:

Idealtypischer Therapieverlauf:

I. Phase:

  1. Vermittlung des Angstmodells nach Markgraf und Schneider.

  2. Erarbeitung des bisherigen Vermeidungsverhaltens, um anschließend eine Angst-hierarchie aufzustellen.

Beginn mit leichten Angstkonfrontationsübungen bis zur Schwersten.

  1. Praktische Hyperventilationsübungen.

  2. Erlernen von Entspannungstechniken (PMR, Hypnotherapie, Qigong, Yoga) sowie Achtsamkeitstechniken sowie zur Verbesserung von Emotionsregulations- und Stressbewältigungsskills Teilnahme an der Fähigkeitengruppe, orientiert nach der dialektisch-behavioralen Therapie nach Marsha Linehan (vor allem bei strukturschwachen Persönlichkeiten).

II. Phase:

  1. Angstexposition, anfänglich unter Begleitung des Bezugstherapeuten.

  2. Fortführung der Exposition in Eigenregie zur Habituation.

  3. Bei Realitätsverzerrungen zusätzlich Techniken der kognitiven Verhaltenstherapie (Realitätstestung, normative und empirische Dialoge, Konfrontation in sensu)

III. Phase:

Transfer in den häuslichen und beruflichen Alltag

 

Dr. W.-J. Maurer

Chefarzt der Privatklinik der Panorama Fachkliniken Scheidegg

 

 

Weiterführende Hörbücher:

PSS 2, 10, 14, 16, 18, 19, 21, 22, 25, 27

 

 

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