Die Kunst der Ehezerrüttung oder Was Partnerschaft stabil und die Liebe jung hält
von Dr. med. Wolf-Jürgen Maurer
Kann Liebe von Dauer sein?
Gibt es ein Geheimnis für das Glück in lang dauernden Beziehungen?
Wer keinen Humor hat sollte erst gar nicht heiraten- behauptet der Volksmund.
Beim Thema Liebe und Partnerschaft aber bleibt vielen Zeitgenossen das Lachen im Halse stecken- nach vielen enttäuschend-kränkenden und tief verletztenden Beziehungserfahrungen.
Die Hälfte meiner Patienten befand sich in Therapie, weil sie –oft aus ängstlicher Vermeidung- in keiner nahen Beziehung stand.
Die andere Hälfte suchte Hilfe und wurde krank, wegen den Problemen in nahen Beziehungen.
Psychosomatische Medizin verstehe ich deswegen ja als Beziehungsmedizin.
Wir Menschen sind auf Nähe und Bindung programmiert, sehen uns auch danach, scheitern aber leider oft genau dran, weil wir die nötigen soft Skills der emotionalen Intelligenz in unserer kopfgesteuerten Gesellschaft und Erziehung nicht gelernt haben.
Zu viele Menschen fahren durch stramm durchgehaltene gemeinsam tausenfach eingespielte stereotype Verhaltensketten ihre Paar-Beziehung an die Wand und sind regelrechte Ehezerrüttungsprofis geworden.
Die Kunst der Ehezerrüttung ist weit verbreitet-typische Muster hierzu zeige ich in meinem Hörbuch Band 9, Partnerschaft und die Kunst der Ehezerrüttung-Liebe, Lust und Leiden detailliert auf, um dem verstrickten Paar einen provokanten Spiegel vorzuhalten.
Doch die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
Neueste Forschungen der Paarinteraktion, der Hirnbiologie und der Bindungsforschung zeigen, dass Paarbeziehung als eine Bindungsbeziehung zu verstehen ist und Paarprobleme als Ausdruck einer Unterbrechung der Bindungsbeziehung.
Ich möchte den von mir favorisierten Ansatz einer modernen bindungsbasierten und emotionsfokussierten Form von Paartherapie vorstellen (entwickelt von Susan Johnson), der sich als hoch effektiv erwies:
Der entscheidende Faktor für Qualität und Stabilität von Paarbeziehungen ist hierbei die emotionale Verbundenheit und Erreichbarkeit beider Partner füreinander.
Obwohl in unserer hektischen und globalisierten Welt der Wert von Beziehungen von immer mehr Menschen wieder mehr geschätzt wird, scheitern doch fast die Hälfte aller Paarbeziehungen. Paarberatung oder Paartherapie sind eindeutig wirksam, nicht nur präventiv, sondern auch wenn die Partnerschaft deutlich kriselt. Man kann davon ausgehen, dass 4 von 10 Paaren mit Paartherapie geholfen werden kann. Üblicherweise wird versucht, die Kommunikation zu verbessern, Problemlöseverhalten trainiert, oder versucht, Konflikte konstruktiv und gewaltfrei zu lösen. Allerdings geben nur rund 50 % der Paare dabei eindeutige Verbesserungen an und ebenso viele zeigen innerhalb von 2 Jahren erneut Rückfälle. Nachdem bisher vor allem die Autonomie des Einzelnen in der Therapie und Beratung betont wurde (abgrenzen, nein sagen, Selbstständigkeitsentwicklung fördern) und dann an Auswegen aus vermeintlich zu starken Abhängigkeiten („Verstrickung“) gearbeitet wurde, zeigt sich neuerdings eine Trendwende in der Paartherapielandschaft. Es werden zunehmend neue Modelle in der Paartherapie entwickelt, mit neuen interessanten Forschungsergebnissen aus der Bindungsforschung und der neurowissenschaftlichen Emotionsregulation. Zunehmend wird die Paarbeziehung als eine Bindungsbeziehung verstanden und dementsprechend werden Paarprobleme als Ausdruck einer Unterbrechung der Bindungsbeziehung gesehen. Eine bindungs- und emotionsfokussierte Paartherapie zeigt sich dabei als weltweit effektivster Paartherapieansatz, der mindestens doppelt so effektiv ist wie die üblichen paartherapeutischen Ansätze.
In der Liebe geht es um emotionale Verbundenheit! Wir alle suchen einen geliebten Menschen, der uns zuverlässig emotionale Verbundenheit geben kann. Niemand muss lernen, besser zu argumentieren, auch gilt es nicht, die frühe Kindheit zu analysieren oder den Partner durch romantische Gesten etwas zu beweisen. Worauf es ankommt ist, die emotionale Verbundenheit anzuerkennen. Es geht darum, diese emotionale Verbindung zwischen den Partnern zu schaffen und zu stärken. Bindung ist von der Wiege bis zur Bahre ein wesentliches menschliches Grundbedürfnis. Wir Menschen sind biologisch so angelegt, dass wir bei emotionaler Belastung und Stress Entlastung, Trost und Sicherheit in unserer emotional bedeutsamsten Beziehung suchen. Diese Person ist das geeignetste Mittel, um unserer Nervensystem wieder zu beruhigen. Zurückweisung und Nicht-Verstanden-werden durch diese Person führen sehr schnell zu den stärksten negativen Gefühlen (Verletztheit, Verzweiflung, Trennungsangst), die Menschen überhaupt kennen. Dabei hängt die Fähigkeit zur Regulation eigener negativer Gefühlszustände wiederum nachweislich mit unseren frühen Bindungserfahrungen zusammen. Hirnbiologische Studien zeigen uns deutlich, dass Partner in einer Paarbeziehung gemeinsam ihre Emotionen regulieren.
Es geht also in Beziehung grundsätzlich um emotionale Sicherheit durch Verbundenheit. Dafür allerdings ist es zentral, dass der Partner emotional ansprechbar ist für die eigenen Bedürfnisse. Sowohl durch äußere stresserzeugende und bedrohliche Ereignisse als auch durch Infragestellung der Beziehung wird das Bindungssystem aktiviert, was sich in einem Bedürfnis nach Trost und Verbundenheit, also Wiederherstellung der Bindungsbeziehung zeigt. Wie beim Kind hat die Reaktion auf Unterbrechung der Bindung auch bei Erwachsenen ein typisches Muster: Wütender Protest (bei Paaren bedeutet dies Streit) sowie Anklammern und Einfordern von Nähe. Wenn dies versagt, steht Verzweiflung oder gar Depression und schließlich Distanzierung im Vordergrund. Dies macht typische Konfliktverläufe in Paarbeziehungen erklärbar. Das Konfliktverhalten der Partner stellt den verzweifelten Versuch dar, Nähe zum Bindungspartner wieder herzustellen. Das Konfliktverhalten erzeugt allerdings durch den erregten und aggressiven Charakter häufig das Gegenteil, sodass dies schließlich in einen Teufelskreis mündet. Zunehmend läuft das Bindungssystem der Partner heiß. Das heißt, dass bei Gefahr des Verlustes der emotionalen Verbundenheit heiße Bindungsemotionen aktiviert werden, welche Konflikte auf der Inhaltsebene ständig wieder triggern. Damit werden in der frühen Kindheit erworbene Bindungsmuster reaktiviert, was die Wahrnehmung des eigenen Partners zunehmend verzerren lässt. In der bindungsbasierten und emotionsfokussierten Paartherapie wird emotionale Abhängigkeit der Partner voneinander als normal und auch gesund angesehen. Die Partner suchen beim anderen einen sicheren Hafen, insbesondere bei Belastungen und Stress. Wenn sie diesen finden, dient die Beziehung als emotionale Basis, von der aus autonomes Handeln und Auseinandersetzung mit den Anforderungen der Welt möglich sind. Sichere Bindung ist also die Voraussetzung für die Fähigkeit zur Autonomie.
Für das Erwachsenenalter wurden entsprechend den Bindungsmustern bei Kindern ähnliche Bindungstypen formuliert. Diese lassen sich in sichere Bindungsmuster, unsicher-ängstliche und unsicher-vermeidende Muster untergliedern. Dabei zeigt eine amerikanische Längsschnittstudie den Zusammenhang zwischen frühen Bindungserfahrungen und späterer Beziehungskompetenz eindrücklich. Sicher gebundene Kinder hatten später eindeutig sichere und bessere erwachsene Paarbeziehungen. Die Qualität der Bindung im Alter von einem Jahr konnte vorhersagen, wie gut die Gefühlsregulation und Konfliktlösefähigkeit in Paarbeziehungen im Alter von 21 Jahren waren. Dabei folgen sicher gebundene Paare dem Motto: „Gleich und gleich gesellt sich gern“, während unsicher gebundene Paare überwiegend das gegensätzliche Motto: „Gegensätze ziehen sich an“ realisieren. Häufigster Paartyp bei letzteren ist ein unsicher-vermeidender mit einem unsicher-ängstlichen Partner. Dabei verlaufen Beziehungen von zwei sicher gebundenen Partnern am stabilsten; diese haben weniger Konflikte und die Partner können in Problemsituationen meist konstruktiver reagieren, weil sie über mehr Fähigkeit zum Kitten eines Beziehungsbruches und zum Reparieren der Beziehung unter Belastung verfügen. Dies gelingt den unsicher gebundenen Partnern nicht so gut. So geht z. B. ein unsicher-vermeidend gebundener Partner meist automatisiert davon aus, dass er sich mit seinem Bindungsbedürfnis sowieso nicht an den anderen wenden kann, weil es seine frühe biografische Beziehungserfahrung ist, dass er damit nicht wahrgenommen wurde. Er wird deshalb bei Stressbelastung eher zu emotionalem Rückzug tendieren. Dies hat aber wiederum Folgen für das Beziehungserleben des Partners. So können sich in langjährigen Paarbeziehungen immer wieder gleichartig sich wiederholende und schädliche Kreisläufe einspielen.
Der amerikanische Paarforscher John Gottman konnte aus der Beobachtung kurzer Beziehungssequenzen von Paaren, den langfristigen Verlauf der Paarbeziehung vorhersagen. Wenn sich die sog. „apokalyptischen Reiter“ in das Kommunikationsverhalten der Partner einschleichen, ist die Prognose negativ. Hierbei handelt es sich um Kommunikationsmuster von gegenseitiger verbaler Verletzungen und destruktiver Kritik, Ausdruck von Verachtung, von Abstreiten und Rechtfertigung sowie zunehmenden Rückzug, Abschottung und Kontaktabbruch. Als entscheidend in der Forschung erweist sich also die Fähigkeit zur Regulation negativer Gefühlszustände. Unzufriedene Paare können im Gegensatz zu zufriedenen Paaren, die über Beziehungsreparaturstrategien verfügen, negative Beziehungssequenzen rasch wieder verlassen. Sie zeigen in der Regel 5mal mehr positive als negative Interaktions- und Kommunikationssequenzen. Bei unzufriedenen, bindungsunsicheren Paaren können primäre Emotionen von Traurigkeit, Scham, Angst und Verletzung weder gut wahrgenommen, noch gezeigt, ausgedrückt oder reguliert werden und es kommt zu einer Alarmreaktion im Gehirn, sodass zunehmend die Empathie für sich selbst und den Partner herabgesetzt wird.
In unsicheren Beziehungen verbergen die Partner häufig ihre Verletzlichkeit und ihre tieferen Emotionen. Sie zeigen aber sekundäre Emotionen wie Wut und Enttäuschung umso offener. Auf der Oberflächenebene beginnt jetzt der Tanz um die Bindung: Das Paar verfängt sich in Teufelsdialogen. Haben sich Konflikte erst einmal etabliert, genügen kleine Auslöser, damit die Partner von körperlicher Erregung, Spannung und negativen Gefühlszuständen überflutet werden. Dies macht es ihnen dann unmöglich, auf den anderen mit Verständnis zu reagieren oder gar gelernte regulierende Verhaltensweisen wie Kommunikationsregeln einzusetzen. Sie wollen dann nur noch den negativen, unangenehmen Zustand verlassen, was langfristig oft auf Trennung hinauslaufen kann.
Die Frustration von Bindungsbedürfnissen durch Vorwürfe oder Rückzug des Partners und so einem Teufelsdialog führt nachgewiesenermaßen zu hohem psychischen und auch physiologischen Stress. Mit der Zeit verliert durch so eine Eskalation der Partner allmählich seine Bedeutung als sicherer Hafen; stattdessen wird er paradoxerweise zunehmend als Stressquelle, ja als Feind erlebt, was weiteren Rückzug bzw. heftigere Angriffe bewirkt. Mit der Zeit wird also die Bedeutung des Partners bzw. der Beziehung uminterpretiert. Irgendwann beginnen die Partner, aufgrund des anhaltenden Stresses eine Trennung als Erleichterung oder gar als Lösung zu erleben.
Die Forschung bestätigt: Nicht das Ausmaß von Konflikten ist der beste Prognosefaktor für den Zerfall einer Ehe, sondern der Mangel an emotionaler Erreichbarkeit, was gleich bedeutend ist mit einer unsicheren Bindung. Der entscheidende Faktor für Qualität und Stabilität von Paarbeziehungen ist also emotionale Verbundenheit und Erreichbarkeit. Dies konnte auch in einer hirnbiologischen Studie gezeigt werden: Die Alarmreaktionen des Nervensystems auf die Ankündigung eines Schmerzreizes wird durch Handhalten des Partners bei konfliktbelasteten, unsicher gebundenen Paaren nachweislich kaum gemildert. Durchliefen diese Paare allerdings erfolgreich eine bindungsbasierte und emotionsfokussierte Paartherapie, kann Handhalten des Partners die Alarmreaktion im Gehirn bei Ankündigung eines Schmerzreizes praktisch auf Null reduzieren.
Was ist nun der häufigste negative Beziehungszyklus bzw. der Teufelskreis unsicher gebundener Paare?
In der bindungsbasierten, emotionsfokussierten Paartherapie werden Paarprobleme als Ausdruck einer Unterbrechung der Bindungsbeziehung verstanden. Die Partner finden nach Beziehungsverletzungen keine Bindungssicherheit mehr beim anderen und zeigen bindungstypische Verhaltensweisen des Protests wie Klagen, Vorwürfe und Streit mit der unbewussten Absicht, den Bindungskontakt zum anderen wieder herzustellen. Entsprechend ihres inneren Arbeitsmodells von Bindung setzen sie dann automatische Verhaltensweisen ein, um den anderen wieder in die emotionale Verbindung zurückzuholen. Bei dem in der Paartherapie häufigsten Muster besetzt der unsicher-ängstlich gebundene Partner die Position des Verfolgers, Anklägers, des Suchers von Bindung, der vor allem Wut und Enttäuschung über die Nichtverfügbarkeit des anderen zum Ausdruck bringt, indem er anklagt, fordert und Vorwürfe macht. Demgegenüber versucht der vermeidend gebundene Partner seine verletzten Bindungsgefühle durch Rückzug, Betäubung oder Ausweichen in Ersatztätigkeiten (z. B. arbeitssüchtiges Verhalten) zu schützen. Dieser vermeidend gebundene Partner wird als Rückzieher, Vermeider, Betäuber bezeichnet, der sich abschottet und mauert. Er schweigt oder erzählt nur noch Äußerliches, emotional wirkt er gleichgültig oder taub, wobei seine primäre, heiße Bindungsemotion die der Wertlosigkeit ist und er eigentlich das Bindungsbedürfnis hätte, sich vom anderen wieder angenommen zu wissen, was er allerdings nicht erlebt, wenn die Verfolgerin ihm wütende Vorwürfe macht, ihn anklagt und kritisiert, ständig nachbohrt und ihn entwertet, er also nur deren sekundäre Emotion von Wut und Enttäuschung erlebt. Die primäre Emotion der Verfolgerin bzw. der Anklägerin, nämlich ihre Angst vor Abgeschnitten-sein und emotionalem Wackelkontakt oder gar Unverbundenheit erlebt er durch dieses Verhalten der Anklägerin nicht und ebenso erkennt er nicht ihr Bindungsbedürfnis nach Nähe und Verbundenheit zu ihm, wie sehr sie ihn eigentlich braucht. Er spürt nur, dass er es ihr nicht mehr recht machen kann und schottet sich deshalb ab und macht dicht. So erleben beide Partner nur die oberflächliche Ebene ihres Handelns, während die eigentliche Ebene, ihre Bindungsgefühle und -bedürfnisse, ihnen bewusst meist noch nicht zugänglich ist. Diese stellen aber den eigentlichen Schlüssel für eine Veränderung der destruktiven Paardynamik dar. Denn therapeutische Veränderung tritt erst dann ein, wenn die Partner sich mit diesen primären weicheren Gefühlen und Bedürfnissen wieder direkt an den anderen wenden, wenn also der Verfolger und Ankläger seinem Partner eingesteht, dass er das Gefühl hat von ihm abgeschnitten zu sein und keinen Kontakt zu ihm zu bekommen, wie sehr er darunter leidet und sich danach sehnt, ihn vermisst und doch eigentlich braucht. Und wenn der Vermeider, Rückzieher seinem Partner sein Gefühl mitteilt, dass er dem Partner nicht das geben könne, was er braucht, und dass dies bei ihm zu schmerzlichen Versagens- und Wertlosigkeitsgefühlen führt, sodass er das Gefühl hat, es dem Partner nicht recht zu machen. Und er sich deshalb zurückzieht aus Hilflosigkeit und Verzweiflung, nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus Angst, den Partner sonst noch mehr zu verletzen. Um sich also vor diesen schmerzlichen primären Bindungsgefühlen zu schützen, verhalten sich beide Partner entsprechend wie in ihren früh erworbenen Bindungsmustern und fahren auf der Oberfläche der sekundären Emotionen fort, den anderen anzugreifen bzw. sich aus den Kontakt zurückzuziehen, was den Teufelskreis immer weiter befeuert und das Paar im Tanz um Bindung in Teufelsdialogen sich verfangen lässt.
Die bindungsbasierte, emotionsfokussierte moderne Paartherapie versucht, beiden Partner ihre eigentlichen Bindungsgefühle und -bedürfnisse hinter ihrem oberflächlichen Konfliktverhalten wieder zugänglich zu machen und sie dabei zu unterstützen, sich wieder mit diesen Bindungsbedürfnissen aufeinander zu beziehen, um so die Bindungsbeziehung wieder herzustellen.
Beispiel:
Während im Konfliktmuster die Frau zu ihrem Mann sagt: „Du bist ja nie da, du interessierst dich doch gar nicht für mich“, sagt sie, mit therapeutischer Unterstützung nach Klärung ihrer primären Gefühle und Bedürfnisse: „Wenn du nach der Arbeit gleich an den PC gehst, fühle ich mich einsam und abgeschnitten und weiß gar nicht, ob ich dir überhaupt noch wichtig bin“. Dies hat dann eine völlig andere emotionale Wirkung auf den Partner und erreicht ihn in seinem Fürsorgesystem und stellt emotionale Verbindung her. Die stärksten und nachhaltigsten Veränderungen der Paarkonflikte geschehen durch solche Momente der Wiederherstellung der Bindungsbeziehung in der Therapiesitzung mit einem aktiven empathischen und unterstützenden Therapeuten. Dies entspricht einer korrigierenden emotionalen Beziehungserfahrung. In diesem Sinne wird die Kompetenz der Partner gefördert, emotionale Unterstützung beim anderen zu suchen bzw. zu geben. Sobald in einer Beziehung wieder Offenheit für solche Bindungssignale entstehen und der Bindungsprozess verlässlicher geworden ist, gelingt es Paaren, viele lange schwelende Streitigkeiten zu lösen und sich in Zukunft über Meinungsverschiedenheiten auf eine Weise auszutauschen, die nicht zur Gefahr für die Beziehung werden kann.
In der Phase 1 der Paartherapie geht es erstmal um Deeskalation. Die Partner erscheinen zur Therapie mit ihren Konflikten um Alltagsthemen. Hier werden also sekundäre Emotionen wie Wut und Enttäuschung präsentiert. Diesen alltäglichen Streitigkeiten liegen stereotype, sich wiederholende Beziehungszyklen zugrunde, die identifiziert werden müssen. Diese werden umgedeutet: Streit wird als die verzweifelte Suche nach Wiederherstellung der Bindung umgedeutet, und Vermeidung bzw. Rückzug als Versuch, sich und die Beziehung vor Verletzungen zu schützen. Beiden Partnern wird empathisch erläutert, dass sie aus verständlichen Motiven heraus handeln. Sie werden also nicht kritisiert, sondern ihnen wird deutlich gemacht, dass sie versuchen, durch ihr Verhalten den anderen emotional zu erreichen oder sich selbst zu schützen. Dass dies aber die Form eines Teufelskreises angenommen hat, in dem sie den anderen immer wieder, und zwar ohne es zu wollen, verletzen. Es wird deutlich gemacht, dass dieser Teufelskreis und nicht der Partner der gemeinsame Feind ist, der im Moment noch Macht über sie hat, sodass sie den anderen verletzen ohne es zu wollen. Die Partner entdecken mithilfe des Paartherapeuten zunehmend, dass ihrem destruktiven Verhalten eigene Bindungsbedürfnisse zugrunde liegen, und es wird ein gemeinsames Ziel herausgearbeitet, nämlich den Teufelskreis gemeinsam zu überwinden. Dies gelingt, indem sie ihre bisher nicht anerkannten primären weicheren und verletzlichen Gefühle wie Angst davor, die Verbindung zum Partner zu verlieren, als Motor hinter ihrem Handeln im Teufelskreis erkennen können.
In der Phase 2 wird dann die Bindung wieder hergestellt, indem beide Partner Akzeptanz für sich selbst und den anderen entwickeln und seine Bindungswünsche unterstützen. Die Partner werden in einem Moment, in dem sie sich ihres eigentlichen Bindungsbedürfnisses hinter ihrem oberflächlichen Verhalten gewahr werden, aufgefordert, sich mit diesem Wunsch direkt und authentisch an den anderen zu wenden. Genau dies hat nach allen Forschungsergebnissen die stärkste Veränderungswirkung auf die Paarbeziehung. Wenn es gelingt, dass sich der Vermeider sich nicht weiter aus der Beziehung zurückzieht, ist dies die Voraussetzung dafür, dass der Verfolger seine anklagende Haltung aufgibt sowie seine verletzlicheren und bedürftigeren Gefühle zeigen kann und damit weicher wird, wenn der Vermeider sich wieder für die Beziehung engagiert.
In der dritten sogenannten Konsolidierungsphase haben die Partner schließlich bereits die reale Erfahrung gemacht, beim anderen tatsächlich Antwort auf die eigenen Bedingungsbedürfnisse zu finden. Nun können die Streitpunkte der Anfangsphase noch einmal aufgenommen werden, um sie auf der neuen Basis wiedergewonnener Bindungssicherheit effektiv bearbeiten zu können. Der aktive Paartherapeut dient dem Partner als Übersetzer, hilft über sein Verständnis aus der Ich-Perspektive, die eigenen weichen primären verletzlichen Gefühle und Bedürfnisse zu äußern, wenn dieser gerade nicht in der Lage ist, auf seinen bindungssuchenden Partner verständnisvoll zu reagieren, weil er sich selbst unverstanden und bedürftig fühlt. Der Paartherapeut hilft also beiden Partner mit seinem maximalen Verständnis, die heißen Emotionen zu regulieren, damit die gegenseitige Erregung der Partner abnimmt und sie für die Mitteilung des anderen wieder offener werden.
Alle Studien zeigen eine enorme Besserungsrate von um die 90 % in 10-12 Sitzungen einer so durchgeführten bindungsbasierten und emotionsfokussierten Paartherapie! Über 70 % der Paare erholen sich in der Nachuntersuchung komplett und die Resultate erweisen sich selbst in mehrjährigen Nachkontrollen als stabil, auch wenn das Paar wieder unter Stress gerät. Dabei wird emotionsfokussierte Paartherapie auch Eltern chronisch kranker Kinder als Intervention angeboten, ebenso wie bei Problemen mit der Sexualität und bei psychosomatischen oder körperlichen Erkrankungen, z. B. koronare Herzerkrankung und nach Brustkrebserkrankungen. Hierdurch konnte nachgewiesen werden, dass sich nicht nur die Belastung der Partnerschaft verringert, sondern darüber hinaus diese Art von bindungsbasierter Intervention auch positive Effekte auf den körperlichen Heilungsprozess hat. Durch Verbesserung der sicheren Basis einer Bindungsbeziehung wird Stress herunterreguliert. Dadurch wird das Immunsystem entlastet.
Es soll nicht verschwiegen werden, dass in der paartherapeutischen Szene der Zusammenhang zwischen Bindung und Sexualität kontrovers diskutiert wird. Oft wird betont, dass Vertrautheit sexuelles Begehren senkt, was die zunehmende Lustlosigkeit in Langzeitbeziehungen erklären könnte. Demgegenüber argumentieren Bindungsforscher damit, dass leidenschaftliche Sexualität nicht zu einer sicheren Liebesbeziehung führe, sondern dass es eher so sei, dass eine sichere Bindung zu befriedigender Sexualität führt und darüber hinaus zur Intimität, die auch in lang dauernden Beziehungen erhalten bleibt. Sicher ist nach meiner klinischen Erfahrung, dass es beides braucht, primär eine sichere emotionale Verbundenheit, auf der dann auch autonome Verhaltensweisen der Partner dazu führen, dass sie nicht aufeinander kleben, dass sie mit Unterschieden gut umgehen können, dass sie Eigenständigkeit dadurch erst entwickeln und damit füreinander immer wieder neu und interessant bleiben. So bleibt das Glück in Paarbeziehungen durch diese neueren Forschungen nicht mehr völlig dem Zufall überlassen. Leidenschaft auch in lang dauernden Beziehungen ist möglich, die Liebe kann jung bleiben. Voraussetzung ist, dass Paare es schaffen, immer wieder emotional aufeinander bezogen und miteinander verbunden zu bleiben, sich damit sicher genug fühlen, um sich, den Partner und die Welt neu zu erforschen.
Obwohl die Effektivität dieser modernen bindungsbasierten, emotionsfokussierten Paartherapie sich in mehreren Studien eindeutig bestätigt hat, ist leider der Ansatz im deutschsprachigen Raum bislang immer noch kaum bekannt.
Paarbeziehungen sind eine der wenigen verblieben Ressourcen, die wir in unserer schnell-lebigen modernen Zeit noch haben.
Aber wir müssen sie pflegen, uns Zeit nehmen und ihr den Stellenwert beimessen, den sie verdient.
Denn von der Wiege bis zur Bahre braucht der Mensch Bindung.
Richtig verstanden können die Probleme in einer Liebesbeziehung zu besserem Selbstverständnis und nachreifender Heilung alter kindlicher Verletzungen dienen, wenn wir nicht gleich „Partnerrecycling“ betreiben, um dann beim nächsten Partner in der gleichen Sackgasse der eigenen Beziehungssollbruchstelle zu landen.
Auch „Liebesversehrte“ ,im Bindungsbereich Verletzte mit Näheängsten und einem Wackelkontakt im Bereich emotionaler Verbundenheit in Beziehungen können sowohl Selbstachtung, Selbstfreundschaft als auch Mitgefühl und Liebesfähigkeit verbessern- aber anstatt den Partner verändern, kontrollieren oder manipulieren zu versuchen müssen sie gewillt sein, Verantwortung für Ihre eigenen Verhaltensbeiträge und Beziehungsinteraktionen übernehmen und sich ihrer Verletzlichkeit und ihren wunden Punkten stellen.
Die Kunst der Ehezerrüttung ist weitverbreitet, aber das eigene Herz der Liebe zu öffnen kann gelernt werden.
Paartherapie ist allemal billiger als eine Scheidung!
Weil Sehnsucht bis ins hohe Alter nicht abnimmt- pflegen Sie Ihre Beziehungen!
Eine starke, eine kraftvolle Liebe
wünscht Ihnen,
Dr. Wolf Maurer
Weiterführende Hörbücher zum Thema:
Psychosomatik Scheidegg, Band 9, Partnerschaft und die Kunst der Ehezerrüttung – Liebe, Lust und Leiden
(Die Kunst der Ehezerrüttung ist weit verbreitet – typische Muster hierzu zeige ich in meinem Hörbuch Band 9, Partnerschaft und die Kunst der Ehezerrüttung – Liebe, Lust und Leiden detailliert auf, um dem verstrickten Paar einen provokanten Spiegel vorzuhalten.)
PSS Band 27, Bindungstrauma und Persönlichkeitsentwicklung- Bindung, Liebe, und Selbstentwicklung mit „Wie Partnerschaft stabil und Liebe lebendig bleibt“
PSS Band 25, Persönlichkeitsstile – Meine Persönlichkeit, mein Symptom und Ich
PSS Band 7, Selbstwertschätzung- Freundschaft mit sich selbst schließen
PSS Band 24, Lebenskunst – das Gute leben
Paartherapeutische Literaturempfehlungen:
-
Susan Johnson: Praxis der emotionsfokussierten Paartherapie
-
Susan Johnson: Halt mich fest. 7 Gespräche zu einem von Liebe erfüllten Leben.
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John Gottman: Die 7 Geheimnisse der glücken Ehe.
-
John Gottman: Die Vermessung der Liebe: Vertrauen und Betrug in Paarbeziehungen.
-
Karl-Heinz Brisch: Bindungen – Paare, Sexualität und Kinder.
-
Gerald Hüther: Du bist mir wichtig!: Sicher und geborgen in die Welt hinaus.
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Eckhard Roediger: Passt doch! Paarkonflikte verstehen und lösen.
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Hans Jellouschek: Wie Partnerschaft gelingt – Spielregeln der Liebe: Beziehungskrisen sind Entwicklungschancen.
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Ulrich Clement: Think Love: Das indiskrete Fragebuch.
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Barbara Fredrickson: Die Macht der Liebe.
Gerd und Christine Spranger
Vielen Dank für die umfassenden Infos zu dem Thema.
Zugegeben: Konflikte zu lösen in der Partnerschaft ist oft nicht ganz einfach. Die Erfahrung habe ich auch gemacht. Und dennoch gehört auch immer ein Stückchen guter Wille dazu. Will ich das Problem wirklich in den Griff kriegen, weil ich den anderen noch liebe? Will mein Partner das auch? Oder geht es mir eher darum, ein Problem zu inszenieren, weil ich aus der Beziehung aussteigen will?
Wie kann man Partnerkonflikte wirklich lösen? Ich denke, viele Paare wissen im tiefsten Herzen, dass der Partner oder die Partnerin eigentlich ein guter Kerl ist. Mit Konflikten kann man gelassen umgehen, man kennt sich ja gut und kann die andere Person gut einschätzen. Außerdem meint es der andere meist ja gar nicht so. Im Eifer des Gefechtes schlagen die Emotionen allerdings hohe Wellen und sind kaum zu bändigen.
Und deshalb verführen die Ungeschicklichkeit und Unachtsamkeit die Beziehungspartner manchmal dazu, im Streit etwas zu sagen, was die andere Person verletzt. Man kann sein Gegenüber in einer Beziehung aber auch überfordern. Dabei denkt man, der andere ist stark genug, alles was man ihm sagt, auch wegstecken zu können. Deshalb ist das Wichtigste in Konfliktsituationen, seine eigenen Emotionen und Gefühle im Griff zu behalten.
Ich denke, es ist wichtig, stets versöhnlich mit einander umzugehen und bei Konflikten stets vom Positiven auszugehen. Ich versuche – natürlich gelingt mir das nicht immer – sachlich zu bleiben und den anderen nicht unter der Gürtellinie verbal zu verletzen. Ich finde, es ist ein Nogo, dabei immer wieder in alten Wunden herum zustechen.
Wir beide, mein Partner und ich, verhalten uns in Konfliktsituationen mit immer wiederkehrenden gleichbleibenden Verhaltensmustern. Deshalb versuchen wir, diese zu durchbrechen, wenn es zu keinem konstruktiven Gesprächsverhalten kommt und wir kein Ergebnis erzielen. Wir haben hier auch schon einmal eine professionelle Unterstützung eines Paartherapeuten als sehr hilfreich empfunden, um ein neues Verhalten miteinander zu erlernen und einzuüben.
Dabei lernt man, in einem friedlichen Gespräch die eigenen Wünsche zu äußern und darüber zu sprechen. Es ist wichtig, dabei das zu beschreiben, was einem persönlich ganz wichtig ist. Wem es gelingt, gegenseitige Achtung und Respekt für einander zum Ausdruck zu bringen, der kommt der Konfliktbewältigung schon ein ganz schönes Stückchen näher. Und das hat uns in unserer Partnerschaft geholfen, auch persönlich zu wachsen.