Meister oder Sklave deiner Zeit?
von Dr. med. Wolf-Jürgen Maurer
Es ist leicht, sich heutzutage als Sklave der Zeit zu fühlen.
Jedermann hetzt und hastet.
„Keine Zeit, keine Zeit, keine Zeit!“-
dies ist die meistgehörte Klage, v. a. wenn es um Dinge geht, die wirklich wertvoll sind:
Zeit für sich selbst, für Stille, für Ruhe und Entspannung, für Gesundheitspflege, für Kreativität, Beziehungen und Pflege von Freundschaften und für Nähe und Intimität, ja für die Liebe.
„Der Tag hat zu wenig Stunden und das Leben ist zu kurz“, hört man.
„Dabei bin ich froh, wenn dieser vollgestopfte Tag endlich rum ist, wenn ich meine To-do-Listen abgearbeitet und alles geschafft habe.“
Sich mühselig und belastet sowie recht freudlos durch den Tag zu schleppen trifft leider das Lebensgefühl vieler Menschen.
Ein Lebens-Gefühl der Selbstentfremdung, des sich seiner Selbst und dem wirklichen Leben verlustig zu gehen.
Es scheint, wir haben nicht genug Zeit, der zu sein, der wir sein wollen.
Wenn wir nur länger leben könnten oder der Tag mehr Stunden hätte, dann, ja dann, könnten wir endlich mehr von dem tun, was wir wirklich gern tun würden und lieben!!?
Das erinnert mich an die Ausrede:
„Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu!“
Aber ist dies wirklich wahrscheinlich, dass mehr Zeit uns dazu verhelfen würde, der Mensch zu sein , der wir wirklich wesenhaft sind?
Eher scheint bei genauer und ehrlicher Betrachtung klar, dass jede zusätzliche Extra-Zeit mit nur noch mehr übervollen Kalenderterminen und sogenannter Pflicht gefüllt würde!
Meiner Beobachtung nach gibt es 2 Typen von Menschen: jene, die Meister ihrer Zeit sind, und solche, die von der Zeit beherrscht werden.
Ein Spruch der Ureinwohner von Fidschi lautet hierzu so passend:
„Ihr habt die Uhren, wir haben die Zeit!“
Zeit zu leben, wünschen sich viele Menschen, und finden dafür unbewusst keine andere Lösung, als krank zu werden, um endlich nicht mehr müssen zu müssen, was sie gar nicht wollen, sich aber nicht zu leben trauen, solange ihr Körper wie geschmiert funktioniert.
Sie folgen nicht der Sehnsucht ihrer Herzen, sondern dem Diktat sozialer Erwartungen und Normen und unterwerfen sich sklavisch fremdbestimmt der Uhr-Zeit.
Sie erleben sich als Opfer im eigenen Leben und keineswegs als autonome Gestalter der Kunst, aus dem eigenen Leben ein freud-und sinnvoll schönes zu machen.
Dabei kann sich die menschliche Seele nicht freudvoll und genährt fühlen, wenn wir ständig in Hast und Eile und ängstlich-sorgenvoll unter dem Joch fremdbestimmter innerer und äußerer Erwartungen leben.
Das Leben in Hast und Eile kann nicht gut sein, und Menschen, die so schnell und übereilt leben, können auch nicht gut sein, denn man kann nicht ein mitfühlend-offenes Herz haben in ständiger Hetze und getriebener Eile.
Aber Leben ist zu kostbar, um es in Hast und Eile zu verbringen.
Wir können beginnen, radikal die Hetze und Eile aus unserem Leben zu verbannen und müssen dies auch, um spirituell gelassen und sinnorientiert in Frieden leben zu können.
Wir können ganz bewusst für längere Freiräume zwischen unseren wesentlichen Beschäftigungen sorgen und bewusst langsam gehen und alles, was wir tun, achtsam machen.
Denken wir daran, dass die Uhrzeit im Mittelalter von Benediktiner-Mönchen eingeführt wurde, um daran erinnert zu werden, das Arbeiten zu unterbrechen, um die Zeiten für Ruhe, Stille und Gebet nicht zu verpassen.
Erst in der industriellen Neuzeit haben sich die Menschen infolge der Uhr-Zeit von ihrer Lebenszeit entfremdet und immer mehr Menschen haben sich vom Meistertum des Geschenkes der eigenen Zeit zu Zeitsparern und innerlich unfreien Sklaven der Zeit verwandelt.
Auf alten Sonnen-Uhren lesen wir wehmütig:
„Gott hat uns die Zeit gegeben, von Eile war nicht die Rede!“
Was wäre, wenn Sie für eine Woche die bewusste Entscheidung träfen, von einem ruhigen und gelassenem inneren Ort des Friedens aus zu leben und jeden Wochen-Tag achtsam zu beginnen und zu beenden, und bewusst laaaangsam und ungehetzt durch diese sieben Tage zu gehen?
Unser Hirn braucht dringend Pausen, um die Batterien aufzuladen und den Kontakt zur eigenen Kreativität und Lebensfreude nicht zu verlieren.
Es scheint, die Sklaven im alten Rom hatten mehr Zeit und Muße als wir moderne Menschen, die wir uns doch für so mündig und selbstbestimmt halten und in deutliche größerem Luxus zu leben wähnen.
Aber ist diese Art, sich durchs Leben zu funktionieren, dauernd zu hasten und zu eilen und dabei ständig noch die Geschwindigkeit zu erhöhen, wirklich ein Leben im Luxus?
Ist es das, was Sie sich wirklich wünschen?
Was ist denn wirklicher Luxus?
Viel zu haben und „zu erreichen“ oder mehr Zeit zu haben, wirklich zu sein?
Bin ich, was ich tue, was ich habe oder wieviel Anerkennung ich über meine Leistung bekomme?
Oder ist das nicht eher ein Leben aus einer alten Scham heraus, dem nagenden unbewussten Gefühl, eigentlich unzulänglich und nicht liebenswert zu sein?
Laufen nicht viele Menschen ständig von diesem Gefühl weg, flüchten sich in Hyperaktivität und stopfen ihr Leben wie einen Müllsack mit allem Möglichen und Unnötigem voll, um ja die innere Leere nicht zu fühlen und das gefürchtete Loch des Ungeliebtseins zu füllen?
Durch diese lieblose Art mit sich (und in der Folge auch mit anderen) umzugehen, bestätigen wir uns nur noch mehr diese alte, aus frühen Beziehungserfahrungen resultierende, negative Kernüberzeugung statt uns unseren wahren und schmerzlichen Gefühlen wirklich zu stellen.
Eine Sparsamkeit an Gefühlen lässt das Konto unsere Seele aber immer weiter schrumpfen.
Wir leben ein Leben von Emotionsphobikern.
Doch was wir nicht bereit sind zu fühlen, das wird uns um so mehr unbewusst in unserem Lebensvollzug bestimmen und kann sich auch solange nicht verändern, bis wir uns all unseren vermiedenen Gefühlen endlich gestellt und sie liebevoll angenommen haben.
Erst dann erleben wir uns als innerlich ganz und heil und kommen in inneren Frieden, so dass wir auch unser äußeres Leben in mehr Ruhe vollziehen und in Frieden aktiv und selbstfürsorglich-mitfühlend gestalten können.
Wer ständig vor sich selbst und seinem Schatten wegläuft und durch sein Leben hastet, der altert schneller- er verliert paradoxerweise Lebenszeit, seine Gesundheit und stirbt oft früher.
Und kann am Ende nicht loslassen,
„denn ich habe ja noch gar nicht wirklich gelebt!“….
„Später wollte ich doch noch…!“
Doch dieses Verschieben des Lebens auf später und ständiges Absichern ist ein schwerer Irrtum, denn wenn wir später überhaupt erleben, wissen wir oft nicht mehr, wie leben geht.
Wir haben die ganze Zeit ja dafür gesorgt, dass es uns nicht gut geht.
Glücklich sein kann man nur im Jetzt!
Nur in der Gegenwart, im Augenblick, der uns jetzt geschenkt ist, um die Präsente des Lebens achtsam und präsent zu genießen!
Wer es jetzt nicht schafft und das jetzt nicht als einzige wirkliche Zeit schätzt, wird auch später nicht glücklich sein können.
Wer nicht für den gegenwärtigen Augenblick präsent ist, kann die Präsente des Lebens nicht wahrnehmen und nicht schätzen.
Er lebt nicht dankbar und ist deshalb im Mangeldenken verhaftet und im ständigen verkrampften sorgenvollen Bemühen gefangen, sich selbst und das Leben zu verändern und zu optimieren.
Er lebt ein Leben der Angst.
Glück aber erleben wir nur als dankbar Liebende, die zu allem was Jetzt ist, Ja sagen können, um mit dem Fluss des sich ständig verändernden Lebens in bewussten Kontakt zu kommen.
Und sich dadurch wirklich voller Energie und ganz lebendig zu fühlen.
Solche Gedanken macht man sich meist erst wenn es zu spät ist, wenn das Leben einem durch die Finger gleitet, man alt oder krank ist, und dadurch gezwungen ist, inne zu halten, um wirklich wesentlich zu werden und wesentlicher zu leben.
Wer bin ich, wenn ich nicht arbeite?
Wer bin ich, wenn ich, was mir wichtig erschien und ich sicher geglaubt habe, verliere?
Was trägt mich wirklich von innen?
Wer bin ich wirklich?
Wer bin ich, jenseits der Geschichten, die mein Kopf über mich und mein Leben erzählt, was ich dann schließlich fälschlich für meine Leben halte?
Was bleibt mir jetzt noch, wo ich mich so gealtert fühle?
Ich erinnere hierzu gerne an die Gedanken des von mir verehrten großen Arztes und lebenspraktischen Philosophen Dr. Albert Schweitzer, wegen dem ich selbst überhaupt erst Arzt werden wollte, der sich ebenfalls „Gedanken über die zweite Lebenshälfte“ gemacht hat:
„Niemand wird alt, weil er eine Anzahl Jahre hinter sich gebracht hat.
Man wird nur alt, wenn man seinen Idealen Lebewohl gesagt hat.
Mit den Jahren runzelt die Haut,
mit dem Verzicht auf Begeisterung aber runzelt die Seele.
Sorgen, Zweifel, Mangel an Selbstvertrauen, Angst und Hoffnungslosigkeit, das sind die langen Jahre, die das Haupt zur Erde ziehen und den aufrechten Geist in den Staub beugen.
Ob siebzig oder siebzehn, im Herzen eines jeden Menschen wohnt die Sehnsucht nach dem Wunderbaren, das erhebende Staunen beim Anblick der ewigen Sterne und der ewigen Gedanken und Dinge, das furchtlose Wagnis, die unersättliche kindliche Spannung, was der nächste Tag bringen werde, die ausgelassene Freude und Lebenslust.
Du bist so jung wie deine Zuversicht, so alt wie deine Zweifel.
So jung wie dein Selbstvertrauen, so alt wie deine Furcht.
So jung wie deine Hoffnung, so alt wie deine Verzagtheit.
Solange die Botschaften der Schönheit, Freude, Kühnheit, Größe, von der Erde, von den Menschen und von dem Unendlichen dein Herz erreichen, solange bist du jung.
Erst wenn die Flügel nach unten hängen und das Innere deines Herzens vom Schnee des Pessimismus und vom Eis des Zynismus bedeckt sind, dann bist du wahrhaft alt geworden“.
Ich wünsche Ihnen all-zeit Begeisterung und ein leidenschaftliches Leben entlang Ihren wahren Sehnsüchten und dessen, was Sie im tiefsten wirklich wollen, mit Achtsamkeit und ohne Hast und Eile.
Mögen Sie sich Zeit für sich selbst und Ihre Lieben nehmen, bevor es zu spät ist, möge die Zeit Ihnen übrig bleiben!
Dr. Wolf Maurer
Hierzu das schöne peppige Gedicht des 18 Jahre jungen Goethe, in der Textung der Streetkünstlerin Barbara:
ÜBRIGENS FÜR DIE NICHT MEHR JANZ Jung und TAUFRISCHEN:
„Swag“ bezeichnet eine beneidenswerte, lässige, charismatische, positive und coole Ausstrahlung.
“Diggi” steht für Kumpel, Alter
Herzliche Grüße,
Wolf Maurer
Ich wünsche Ihnen, dass Sie keine Angst vor der Angst haben, damit sie sich selbst wirklich ganz lebendig fühlen können und ihr Leben entlang Ihrer wahren Herzenswünsche mutig zu leben wagen.
Hören Sie dazu rein, was Mr. Ramesh, der „indische Experte“ über die Lebensangst der Menschen zu sagen hat und welchen humorvollen Tipp er ihnen gibt, den ich als Psychosomatiker nur nachdrücklich unterstreichen kann:
Und dann hören Sie sich noch die junge Slammerin Julia Engelmann an, die meines Erachtens verstanden hat, was Leben bedeutet und einen leidenschaftlichen Aufruf gibt , endlich anzufangen, wirklich zu leben, schöne Erlebnisse zu sammeln und jetzt die Geschichten zu schreiben, die wir uns später gern erzählen würden, wenn wir alt sind und unsere Zeit nahezu vorüber ist:
Ebenso könnte das Video Museumstage Ihnen in Erinnerung rufen, was am Ende wirklich in Ihrem Leben zählt:
Weiterführende Hörbücher „Psychosomatik Scheidegg“ unter www.anima-mea.org:
PSS 1, Wenn die Seele die Sprache verliert…fängt der Körper an zu reden
PSS 2, Angst als Seelenfresser oder Lebenswecker
PSS 5, Burnout-Fegefeuer der Eitelkeiten
PSS 7, Selbstwertschätzung- Freundschaft mit sich selbst schliessen
PSS 18, Gelassenheit entwickeln- Lebensfreude und Zufriedenheit entdecken
PSS 20, Lebensbalance – Bring Dein Leben ins Gleichgewicht
PSS 21, Leben oder Funktionieren – die eigene Identität entwickeln
PSS 23, Fragen, die Sinn stiften…und Ihre Welt verändern
PSS 24, Lebenskunst – Das Gute leben