Zeig Dich
von Dr. med. Wolf-Jürgen Maurer
Menschen verstecken sich – auch zu Beginn einer Psychotherapie – gern hinter Masken und einer klugen Fassade. Sie wollen sich unangreifbar machen. Und funktionieren. Sie spalten ihre Gefühle ab und versuchen ihren Gefühlsausdruck zu kontrollieren. Aber so verlieren sie nicht nur den Kontakt zu anderen Menschen, sondern entfremden sich immer mehr auch von sich selbst. Kontrolle ist der beste Weg, irgendwann die Kontrolle zu verlieren. Sie plappern daher im oberflächlichen Geschwätz, hinter dem sie sich verbergen. Sie erzählen anderen und ihrem Therapeuten von allem, was nicht wesentlich ist und nichts von dem was wirklich wichtig ist und in ihnen schreit und hungert. Sie haben infolge früherer Verletzungen oder erlebten Desinteresses den Dialog zu sich und mit ihrer Seele verloren und haben so auch Angst vor Nähe, obwohl sie sich tief im Inneren einsam fühlen und sich nach Verbundenheit sehen, vor der sie sich aber mit ihrem fassadären Verhalten und ihrer lächelnden Maske schützen. Sie haben Angst nicht interessant und nicht liebenswert zu sein. Um so mehr versuchen sie sich äusserlich anzupassen, um dazuzugehören, fühlen sich aber auch im Kontakt mit anderen fremd und isoliert und andere werden nicht warm mit ihnen. Andere sind so traurig-unzufrieden, dass sie allmählich verbittern und der Welt nur noch ein mürrisches Gesicht zeigen. Sie strafen die Anderen mit Gleichgültigkeit für ihr erlebtes Desinteresse und sind nur noch am ablästern und abwerten. So entsteht eine immer tiefere Beziehungsstörung zu sich selbst, den Menschen und des Welt-und Sinnbezuges. Da fällt mir die alte Geschichte des Lächlers ein (Verfasser unbekannt):
Ein Mann, der immer sehr mürrisch schaute, ohne dass es ihm bewusst war, ging eines Tages an einem großen Spiegel vorbei, sah sich – und erschrak. Er dachte, wenn mich alle Menschen so sehen, das ist ja furchtbar, ich bin ja gar nicht so mürrisch wie ich aussehe.
Er beschloss in diesem Augenblick mehr zu lächeln, natürlich fiel ihm das schwer. Er vergaß es immer wieder, deshalb klebte er sich an alle möglichen Orte kleine Zettel, auf denen stand: “Lächle einfach”.
Seine erste Lektion, die er lernen musste, nachdem er das Lächeln konnte: “Mein Lächeln irritiert die Menschen”. Lächelte er zum Beispiel eine junge Frau an, die neben ihm im Auto an der Ampel wartete, so schaute sie weg, weil sie sich angemacht fühlte. Lächelte er einen Mann an, so stieß er auch auf sonderbare Reaktionen, die er mit ernstem Gesicht nicht kannte.
Lächeln mit Blickkontakt irritiert die meisten Menschen, da beim Lächeln die Augen viel Energie ausstrahlen. So viel Energie wird nur bei Menschen ausgestrahlt, die sich sehr nahe oder vertraut sind, war seine Erkenntnis. Also versuchte er nicht mehr, zwanghaft einen Blickkontakt aufzubauen.
Seine zweite Erfahrung war viel besser. Saß er zum Beispiel in einem Café und lächelte so vor sich hin, ohne einen Blick zu suchen, so spürte er, dass die Blicke der anderen Gäste immer häufiger zu ihm wanderten. Er konnte auch die Gedanken spüren: Erst, “Das ist ein Verrückter”, dann “Ist er frisch verliebt?”, dann “Warum lächelt der immer”. Diese dritte Frage brachte bei den anderen ganz viele Gedanken ins Rollen.
Oft geschah nichts, aber manchmal sprach ihn jemand an und mit dem konnte er “Blickkontakt mit Lächeln” aufnehmen, ohne missverstanden zu werden. Er war nämlich seit seiner Entscheidung “lächle einfach” der glücklichste Mensch. Ich verrate euch noch etwas: Er kann sein Lächeln gar nicht mehr unterdrücken.
Und wie sieht das bei Ihnen aus?
Lächeln Sie in diesem Augenblick?
Können Sie sich noch freuen?
Wissen Sie, was für Sie wesentlich ist?
Sind Sie im Kontakt mit Ihrer Seele und gutem Dialog mit anderen?
Zeigen Sie sich so authentisch wie möglich?
Oder spielen Sie verstecken und haben sich in Rollen verloren?
Wissen Sie, was Ihre Seele nährt und wofür Ihr Herz brennt?
In einer Therapie geht es mit guten Fragen, einen Menschen in wirklichen emotional berührenden Kontakt zu bringen, vor allem mit sich selbst.
Es geht um die Öffnung des eigenen Herzens zum Beispiel mit Fragen wie:
Ich möchte wissen, ob du mit Versagen leben kannst, deinem und meinem.
Ich möchte wissen, wie Du mit Kränkungen umgehst und ob du dich immer wieder für Vertrauen und Liebe öffnest.
Ich möchte wissen, ob du im Zentrum deines Kummers warst, ob du geöffnet wurdest durch die Enttäuschungen des Lebens oder ob die Angst vor weiterem Schmerz dich zusammenzog und verschloss!
Ich möchte wissen, was dir von innen heraus Kraft gibt, wenn alles andere abfällt.
Ich möchte wissen, wonach du dich verzehrst und ob du zu träumen wagst, der
Sehnsucht deines Herzens zu begegnen.
Ich möchte wissen, ob du jemanden enttäuschen kannst, um dir selbst treu zu bleiben, ob du den Vorwurf des Verrats aushalten kannst und deine eigene Seele nicht verrätst.
Ich möchte wissen, ob du Freude aushältst, meine oder deine eigene, ob du mit der Wildheit tanzen kannst.
Die Einladung gilt, sich selbst spüren und fühlen zu lernen. Wer sich ehrlich solchen und ähnlichen intimen Fragen stellt ohne auszuweichen, der wird allmählich zurück finden zu sich selbst aus den Verirrungen in einer Welt der er sich zu sehr angepasst hat. Und sich nicht mehr so leicht verbiegen (lassen).
Deshalb zum Schluss noch der ganze wunderschöne inspirierende altbekannte Text „Die Einladung“ zur Selbstbefragung:
Es interessiert mich nicht, womit du deinen Lebensunterhalt verdienst.
Ich möchte wissen, wonach du dich verzehrst und ob du zu träumen wagst, der
Sehnsucht des Herzens zu begegnen.
Es interessiert mich nicht, wie alt du bist.
Ich möchte wissen, ob du riskieren wirst, wie ein Narr dazustehen, für die Liebe, für deine Träume, für das Abenteuer, lebendig zu sein.
Es interessiert mich nicht, welche Planeten im Quadrat zu deinem Mond stehen.
Ich möchte wissen, ob du im Zentrum deines Kummers warst, ob du geöffnet wurdest durch die Enttäuschungen des Lebens oder ob die Angst vor weiterem Schmerz dich zusammenzog und verschloss!
Ich möchte wissen, ob du Schmerz erträgst, meinen oder deinen eigenen – ohne etwas zu unternehmen, um ihn zu verstecken, ihn abzuschwächen oder zu verändern.
Ich möchte wissen, ob du Freude aushältst, meine oder deine eigene, ob du mit der Wildheit tanzen kannst, dich von der Ekstase bis in die Finger- und Zehenspitzen erfüllen lassen kannst – ohne uns an Vorsicht zu gemahnen, uns zur Vernunft aufzurufen und an die Begrenzung des Menschseins zu erinnern.
Es interessiert mich nicht, ob die Geschichte, die du mir erzählst, wahr ist. Ich möchte wissen, ob du jemanden enttäuschen kannst, um dir selbst treu zu bleiben, ob du den Vorwurf des Verrats aushalten kannst und deine eigene Seele nicht verrätst.
Ich möchte wissen, ob du treu sein und deshalb vertrauenswürdig sein kannst.
Ich möchte wissen, ob du Schönheit sehen kannst, auch wenn sie nicht immer hübsch ist und ob du dein Leben aus der Quelle der Gegenwart Gottes speisen kannst.
Ich möchte wissen, ob du mit Versagen leben kannst, deinem und meinem, und
dennoch am Ufer eines Sees stehen und dem silbernen Vollmond zurufen „JA!“
Es interessiert mich nicht, zu wissen, wo du wohnst oder wie viel Geld du hast.
Ich möchte wissen, ob du nach der Nacht der Trauer und Verzweiflung, matt und
erschlagen bis auf die Knochen, aufstehen kannst, um das Notwendige für die Kinder zu tun.
Es interessiert mich nicht, wer du bist und wie du hierher kamst.
Ich möchte wissen, ob du mit mir mitten im Feuer stehen wirst, ohne zurückzuweichen.
Es interessiert mich nicht, wo oder bei wem du studiert hast.
Ich möchte wissen, was dir von innen heraus Kraft gibt, wenn alles andere abfällt.
Ich möchte wissen, ob du mit dir allein sein kannst und wie du die Gesellschaft, die du in den leeren Momenten leistest, wirklich findest.
Oriah Mountain Dreamer
Indian Elder
Mut zu einer ehrlichen Selbstbefragung
wünscht Dr. Wolf Maurer
Weiterführende Hörbücher:
PSS 1 , 2, 5, 6, 7, 8, 15, 21, 23