Let it be – loslassen um gelassen zu leben
von Dr. med. Wolf-Jürgen Maurer
Loslassen ist ein Riesenthema, und fällt doch vielen Menschen oft unendlich schwer.
Es betrifft uns alle.
Wir alle kommen nackt auf die Welt und verlassen sie ebenso wieder- niemand kann etwas mitnehmen.
Während unseres Lebens suchen wir Sicherheit und unser Glück in so vielem- und doch wird das Leben uns zwingen, immer wieder davon loszulassen, nicht daran festzukleben, um frei und glücklich weiterleben zu können.
Alles ist bekanntlich vergänglich auf dieser Erde.
Deshalb ist Klammern, Haften und Festhaltenwollen der sichere Weg ins Unglück!
Wir halten an Gutem fest, was noch verständlich ist.
Aber auch an weniger oder nicht mehr Gutem.
Wenn wir uns selbst als unvollständige Mängelwesen erleben – und dies bewirken v. a. unsere limitierenden Gedanken und begrenzten Selbstkonzepte unseres konditionierten Geistes- dann suchen wir unsere innere Leerstelle aufzufüllen und zu kompensieren über eine Plombe im Außen.
Dies wird uns allerdings nie auf Dauer zufriedenstellen können, weil wir die Dinge, die Menschen und das Leben genauso haben und fixieren wollen, wie wir sie vermeintlich brauchen.
Nur das Leben und die Menschen spielen da nicht lange mit, sich von uns derart verzwecken und missbrauchen zu lassen.
Dann leiden wir, und klagen, und fühlen uns als Opfer oder benehmen uns wie Furien und Racheengel.
Wir wollen die für uns schmerzhafte veränderte Realität nicht akzeptieren, wir leisten dem Leben erbitterten Widerstand.
Wir wollen keine Veränderung, alles soll wieder so werden wie es war oder so bleiben wie wir es wollen!
Wenn wir aber die Realität nicht annehmen, bewirkt unser Nein und unser Kampf dagegen viel vermeidbares Leid.
Und wir vergeben uns die Chance zu wachsen und uns weiterzuentwickeln und alle Erfahrungen als Lernlektionen zu erkennen.
Denn das Leben bietet uns immer wieder Weckrufe und schmerzhafte Situationen, an denen wir unsere Leid schaffenden Gedankenmuster entdecken könnten, denen alte nicht mehr hilfreiche Grundüberzeugungen über uns selbst, das Leben sowie Beziehungen zugrunde liegen.
Andere Menschen drücken durch ihr (verändertes) Verhalten unsere Klingelknöpfe, wodurch alte nicht angenommene Emotionen, die wir in unserem unbewussten Schatten vergraben meinten, an die Oberfläche gelangen und bejahend achtsam gefühlt und so endlich integriert werden wollen.
Deshalb verhindert unser Festhalten und Nicht-Annehmen unsere Heilung und unsere persönliche Entwicklung.
Machen Sie sich doch einmal einige Gedanken und beschäftigen Sie sich mit der Frage: Woran halte ich fest – und warum?
Menschen halten an Beziehungen und Dingen fest, obwohl sie einen belasten, weil sie Angst vor Alleinsein, Leere oder Einsamkeit haben.
Genauso halten Menschen häufig fest an der Vergangenheit, an erlittenen Verletzungen, alten unbewussten Programmen und alten Trennungsängsten aus alten kindlichen Verlustängsten heraus, aus Loyalität zu den frühen Bezugspersonen oder weil die angenommene Opferidentität so vertraut ist und Sicherheit bietet.
Wieder andere Menschen halten an hohen, sie überlastenden, perfektionistischen Selbstansprüchen und Erwartungen für die Zukunft fest, weil sie ihre Kontrollwünsche bei mangelnder Selbstliebe nicht loslassen wollen und sich dahinter oft Angst vor Tod und Sinnleere verstecken.
Viele überholte, krankmachende oder belastende Denk-, Fühl- oder Verhaltensmuster sind uns zur Gewohnheit geworden, sodass wir wie im „Autopilotmodus“ funktionieren, weil diese alten Muster, die wir nicht loslassen wollen, uns Sicherheit und eine vertraute Identität bieten und nicht selten, weil wir an Wünschen nach Rache und Vergeltung festhalten und nicht vergeben wollen.
An gierhaftem Konsum- und Suchtverhalten, an Statussymbolen, Geld, unserem Image, unserem Aussehen, an Idealen, Normen und Regeln halten viele Menschen fest zur Abwehr von Leeregefühlen und um unbewusste Liebessehnsucht zu stillen, oder aus Eitelkeit und Mangelempfinden heraus.
Ebenso steckt häufig die Angst vor Vergänglichkeit dahinter, wie auch die Suche nach Halt, Sicherheit, Belohnung und Abwehr von Ängsten.
Wer verinnerlicht hat, dass man sich Liebe erarbeiten muss und im Leben nichts geschenkt bekommt, der sagt sich damit innerlich, dass er so wie er ist, nicht liebenswert und nicht gut genug ist und er sich für Anerkennung gewaltig und hart anstrengen und selbst verbessern muss- eine alte depressiogene Grundüberzeugung aus seiner Kindheit, die zu einem Leben im Dauerkampf um den stets bedrohten wackligen Selbstwert führt und zu der verbreitesten Sucht: der Suchtnach Anerkennung, die auf genau diesem (unbewussten) Mangeldenken beruht und eigentlich tiefe Unfreiheit und Abhängigkeit von Äusserlichkeiten bedeutet und freudlosen Unfrieden zur Folge hat.
Wer sich für ein Leben mit der Grundausrichtung auf inneren Frieden, Freude, Fülle und Freiheit neu entscheiden möchte, hat jederzeit die Möglichkeit, neu zu wählen – darf dazu aber alte Grundüberzeugungen überprüfen, unwahre Gedanken loslassen, seine Komfortzone verlassen und ungute Gewohnheiten loslassen sowie bereit sein, alle Gefühle willkommen zu heissen.
Nur wer loslässt wird getragen.
Nur wer sich loslässt, wird sich finden.
Vielleicht möchten Sie es gleich einmal mit folgenden Gedanken, die Sie eine Weile auf sich wirken lassen und auf Ihren Atem achten, probieren:
Tanken Sie Kraft, Klarheit und Frieden aus der eigenen Mitte.
Suchen Sie sich eine bequeme Stellung.
Lassen Sie alle Muskeln locker.
Atmend Sie ruhig seufzend tief ein-bis zweimal in den Bauch aus.
Es gibt nichts zu tun.
Einfach bei sich sein dürfen.
Sich sein lassen.
Mit der Aufmerksamkeit zum Atem gehen.
Einatmen, ausatmen.
Den Körper wahrnehmen.
Den Körper mit dem Atem streicheln und beruhigen.
Den Körper lieben.
Die Lebenskraft spüren, die Dich atmet.
Beobachtend Gedanken und Gefühle kommen und gehen lassen.
Alles loslassen, alles sein lassen.
Mit der Aufmerksamkeit auf den Atem zurückkommen.
Gelassen im Augenblick verweilen.
Heiter den Augenblick geniessen.
Alles ist bereits da.
Nichts mangelt.
Alles ist bereits da.
Geniessen- das Ein und Aus.
Geniessen- versorgt zu werden.
Geatmet zu werden.
Lebendig zu sein.
Geniesse es, nichts kontrollieren zu müssen.
Mühelos im Strom dieser Lebenskraft mitzufliessen.
Spüre wie Entspannung, Gelassenheit, Frieden und Freude einfliessen.
Es gibt nichts zu tun.
Alles fliesst von allein.
Ein und Aus.
Lass noch weiter los.
Vielleicht magst Du Dir in Deinem Inneren, im Bauch und Brustraum eine brennende Kerze vorstellen.
Die Flamme beobachtend die Wärme und das innere Licht spüren.
Strahlend und lächelnd wie die Flamme zur Ruhe kommen in deiner Mitte.
Still sein und das innere Licht und Liebe geniessen.
Still sein und Licht sein.
Still bei sich sein.
Still sein.
Sein.
Den Sprung zu wagen, sich ins Vertrauen fallen zu lassen und uns nicht mit der Angst unseres kleinen Egos (bzw. des kleinen inneren Kindes oder des konditionierten Verstandes) zu identifizieren, ist die Herausfordung beim Loslassen.
Der Preis ist ein Leben in Leichtigkeit, Frieden und Fülle, wenn wir mit dem Fluß des Lebens mitschwimmen,
sowie annehmen und lieben was ist- im Innen wie im Außen.
Take it easy.
Let it go.
Let it be.
Let love flow.
Loslassen heißt nicht, dass man sich nicht mehr um andere kümmert.
Es bedeutet schlicht und einfach, zu wissen, dass der andere eben ein anderer ist und jeder für sein eigenes Leben verantwortlich ist.
Loslassen heißt nicht, sich von anderen abzusondern, sondern nur, sie nicht mehr zu kontrollieren.
Loslassen bedeutet nicht, dass ich gleichgültig und egoistisch werde, sondern ich akzeptiere, mich um das zu kümmern, was mich betrifft und zu mir gehört.
Loslassen heißt, zugeben, dass ich nicht allmächtig bin und dass das Ergebnis meines Handelns nicht in meiner Hand liegt.
Loslassen heißt, mit der Realität einverstanden zu sein, selbst dann, wenn sie nicht dem entspricht, was ich mir wünsche.
Loslassen bedeutet nicht, der Vergangenheit nachzutrauern und sich vor der Zukunft zu fürchten, sondern voll und ganz in der Gegenwart zu leben.
Loslassen heißt, weniger zu fürchten und mehr zu lieben.
Loslassen steht also als Prozess immer mit der Aufgabe in Verbindung, das Wesentliche zu finden!
Mehr zu sich selbst zu finden, zu innerem Frieden und größerer Gelassenheit zu gelangen, sich frei zu fühlen für die weitere Entwicklung, immer mehr der Mensch zu sein, der man eigentlich sein möchte.
Schließlich ist Glück stets innere Freiheit.
Es ist die Fähigkeit, loszulassen.
Und wenn ich befreit bin, dann sage ich ja zum Leben, nehme das Leben an so wie es ist, versuche, jeden Tag, jede Stunde so zu leben, dass ich das Beste daraus mache, was mir in diesem Augenblick möglich ist.
Dies ist die beste Möglichkeit, dem Leben liebend zu antworten, ihm Sinn zu verleihen und radikale Selbstverantwortung zu übernehmen.
Mit einem Ja zu allem was ist, lebt es sich eindeutig leichter und besser, als mit einem Kampf dagegen und einem immer währenden Nein!
Wir alle kommen nackt auf die Welt und verlassen sie ebenso wieder- niemand kann etwas mitnehmen.
Aber vielleicht etwas hinterlassen:
Am Ende zählen nur die Spuren der Liebe, die an uns erinnern.
Weniger zu fürchten und mehr zu lieben,
das wünscht Ihnen
Dr Wolf Maurer
Hierzu passen Gedanken des alten stoischen Philosophen Senecas:
„Wenige lässt die Sklaverei nicht los,
weit mehr lassen nicht von Ihrer Sklaverei!“ (Seneca)
„Leicht aber ist´s, Verpflichtungen zu entgehen,
wenn Du den Lohn dafür gering schätzt.
Die erhofften Belohnungen sind´s, die uns aufhalten und hindern.
Dem also entsagen die Menschen nur widerstrebend und lieben den Lohn ihrer Mühseligkeiten,
diese selbst aber verwünschen sie.“
Also ehrlich sein und innehalten und sich Fragen stellen oder den Fragen zuhören, die bereits in meinem Kopf sind, die ich aber zu leicht wegschiebe:
Bin ich Herr des Geschehens oder unterwerfe ich mich Sachzwängen und Fremdbestimmung?
Will ich tatsächlich Herr der eigenen Zeit sein?
Was will ich tatsächlich von dem, was ich angeblich muss?
Da ich doch nicht alles schaffen kann:
Was will ich sein lassen?
Wie viel Zeit will ich jetzt wofür?
Was ist mir wichtig im Leben?
Jetzt, in diesem Augenblick.
Vertagen wir die Gegenwart auf die Zukunft,
so verlieren wir Heute und Morgen.
Was kann/will ich mir unbedingt leisten?
Worauf könnte ich verzichten?
Wovon und von wem muss ich mich in absehbarer Zeit trennen können?
Wie gehe ich mit dem Verlust des bisher Gewohnten um?
Welche ursprüngliche Grundbedürfnisse habe ich mit Ersatzbedürfnissen zu füllen versucht, die nicht satt machen:
Geld statt Anerkennung?
Ein neues Auto statt Freiheit?
Essen anstelle von (Selbst)Liebe?
Haben Ersatzbedürfnisse unsere Grundbedürfnisse überlagert, sollten wir unser Grundbedürfnis herausfinden und es in seiner Entfaltung fördern:
Noch einmal Seneca:
„Dank sei der glücklichen Natur dafür,
dass sie das Lebensnotwendige leicht zu beschaffen und das, was schwer zu beschaffen ist, nicht lebensnotwendig gemacht hat.“
Bei der Erweiterung der Therapieplätze der Panoramaklinik Scheidegg und der Eröffnung eines zweiten Hauses, habe ich diesen notwendigen Prozess der Trennung des Gesamtteams und den Prozess des Loslassens, Abschiednehmens und Neubeginns unter den Segen des wohl bekanntesten Gedichtes von Hermann Hesse gestellt, das den ständigen Loslassprozess des Lebens wunderbar ermutigend zusammenfasst:
STUFEN
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe.
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und zum Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andere, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf` um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
uns traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden.
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden……
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
(Hermann Hesse)
Wie alles begann…
Ja ja die Kommunikationsprobleme!!
Eckhart Tolle: „Alles Annehmen- Hingabe ans Jetzt“
Weiterführende Hörbücher zum Thema aus der Reihe „Psychosomatik Scheidegg“ von Dr. Maurer unter www.anima-mea.org:
PSS 19, Lass los, was dich unglücklich macht… und lebe!
PSS 18, Gelassenheit entwickeln-Lebensfreude und Zufriedenheit entdecken
PSS 23, Fragen, die Sinn stiften…und Ihre Welt verändern
PSS 14, Resilienz-Wie wir Krisen meistern
PSS 13, Selbstheilung unterstützen- Die kraft des inneren Arztes nutzen
PSS 20, Lebensbalance- Bring Dein Leben ins Gleichgewicht
PSS 24 Lebenskunst- das Gute leben
PSS 26, Kränkung und Vergebung…nehmen Sie nicht alles so persönlich!
PSS 7, Selbstwertschätzung-Freundschaft mit sich selbst schliessen