Bewusstseinstexte Dr. W.-J. Maurer

Wer in Selbstliebe wohnt, für den ist Angst ein Fremder

von Dr. med. Wolf-Jürgen Maurer

Wer in Selbstliebe wohnt, für den ist Angst ein Fremder

Die Anzahl an Ängsten, deren Opfer wir werden können, ist bei uns Menschen endlos.

Angst kann sich an alles heften.

Angst ist ein Energiefeld, eine Bewusstseinsebene, von der aus Angst allem zugewiesen werden kann.

Eines der grössten Hindernisse bei der Bewältigung von Ängsten ist die Angst vor der Angst, solange Menschen denken, der Ursprung der Angst läge ausserhalb von ihnen.

Wir fürchten uns dann vor dem Wiedererleben eines Gefühles, leiden also unter einer Emotionsphobie.

Das darauf einsetzende Kontroll- und Vermeidungsverhalten engt unsere tatsächlichen Lebensspielräume rasch ein und hält die Angst aufrecht.

Entscheidend bei der Bewältigung irrationaler neurotischer Ängste ist, dass Menschen erkennen, dass sie nicht das Opfer einer äusseren Bedrohung sind, sondern die Quelle der Angst in ihrem eigenen Geist liegt.

Sie selbst sind die Quelle der Angst, die sie auf die Welt projizieren.

Ein Angstpatient darf lernen, sich nicht mit der Emotion zu identifizieren und erkennen, dass er mehr und grösser ist als das Gefühl, nämlich ein unendlich viel grösseres Bewusstseinsfeld, in welchem die Angst erfahren wird.

Dann sieht der Betroffene sich nicht mehr länger fälschlich als das kleine ohnmächtige Selbst, das der Angst als hilfloses Opfer ausgeliefert ist.

Bei irrationalen Ängsten leiden wir also unter der Vorstellung eines falschen Selbst.

Unser Selbstkonzept ist die eigentliche Quelle der Angst.

Die äussere Welt kann nicht kontrolliert werden, die Quelle der Furchtlosigkeit liegt in uns selbst.

Angstpatienten leben in zukünftigen Katastrophen-Vorstellungsbildern, die ihr unbewusster Geist selbst entwirft.

Sie produzieren imaginativ einen suggestiven Horrorfilm und setzen sich dann in ihr eigenes 3D-Heimkino, vergessen, dass sie der Regisseur und der Zuschauer sind.

Stattdessen identifizieren sie sich mit der Hauptperson, dem tragischen Helden des imaginierten Gruselkabinetts-dem eigenen bedrohten Körper, den Sie im Film hilflos agieren sehen.

Endlose Serien von Sorgen und Katastrophengedanken werden vom automatischen Denker produziert, die, falls der Betroffene sie seinem Kopf abkauft, den Körper unter Stressanspannung setzt und zum Reagieren zwingt und in emotionalen Flutwellen von Panik ersäuft.

Wir werden was wir denken und wir fühlen wie wir denken.

Angstpatienten müssen lernen, ihre Aufmerksamkeit von „da draussen“ und ihren automatischen Gedanken abzuziehen und sie stattdessen auf die achtsame Wahrnehmung ihrer gegenwärtigen Gefühle und der einhergehenden Körperempfindungen lenken.

Der Heilungsweg geht also nach innen.

Ich entscheide mich, die gegenwärtige Erfahrung der Angst im Körper willkommen zu heissen statt anzuspannen, zuzumachen oder wegzudrücken.

Man schaut nicht nach draussen, sondern was im eigenen Inneren als Körperempfindung wirklich gegenwärtig erfahren wird:

Gefühle im Körper wirklich zustimmend spüren und erleben statt darüber nachzudenken.

Dies erfordert radikale Akzeptanz, das zu erleben, was im Moment ist.

Der Energie, die durch den Körper fliesst, beobachtend -ohne Widerstand zu leisten- Raum zu geben.

Den Kampf gegen die bewusste Erfahrung loszulassen.

Wir sind nicht die Erfahrung, wir sind der Zeuge.

Wir sind nicht unsere Gedanken und unsere Gefühle, und wir sind auch nicht unsere Vorstellungsbilder und Erinnerungen, wir sind der achtsame Beobachter, die Leinwand, auf der sich all diese Erfahrungen zeigen.

Könnte ich für den Moment bei dieser Erfahrung sein?

Könnte ich für den Moment die Erfahrung (der Angst) zulassen und willkommen heissen?

Könnte ich den Widerstand, sie im Körper zu empfinden loslassen?

Könnte ich den Wunsch nach Veränderung loslassen?

Könnte ich sogar noch tiefer in die Angst eintauchen, tief hineinzuatmen und mich hineinentspannen?

Könnte ich tiefer hineingehen und darunterliegende Gefühle ebenfalls wahrnehmen, zulassen und im Körper willkommen heissen?

Und dabei den zugrundeliegenden Wunsch im Kern erkennen und zulassen?

Wäre ich bereit, diesen Wunsch loszulassen, um frei und in Frieden zu sein?

Noch mehr von dieser vorgestellten Angst zuzulassen, wäre -in der Regel, v.a. bei vermuteten Traumavorerfahrungen, mit therapeutischer Unterstützung!- das worst-case-szenario: Angst also zu Ende zu denken.

Wovor fürchte ich mich?

Und wenn dies eintreten sollte, was dann?

Dabei lassen wir wiederum den Widerstand gegen die Erfahrung der fokussierten Körperempfindungen los, die dabei hochkommen.

So wird die Energie der Angst bald auslaufen.

Wir lassen also bei diesem achtsamem Wahrnehmungsprozess den Widerstand gegen die Entladung der emotionalen Energie los.

Wir können die Empfindungen der emotionalen Erfahrung im Körper bei genügender Achtsamkeit handhaben, ohne vor ihr weiter zu flüchten.

Dabei können wir die an diese Erfahrung angeheftete mentale Vorstellungsbilder, die die assoziierten Gefühle verstärken, loslassen .

Wir kommen mit unserer Aufmerksamkeit vom Kopf in den Körper und hängen automatischen Gedanken, Benennungen und Geschichten, entschieden nicht weiter nach.

Die Energie fliesst bekanntlich dorthin, wohin wir unsere Aufmerksamkeit lenken.

Uns geschieht nach unserem Glauben.

Angst ist ein falsches Glaubenssystem, das uns fälschlich real erscheint.

Angst ist auch nicht die Quelle unserer Sicherheit.

Dahinter liegt die fälschliche Vorstellung und Überzeugung, dass wir der materielle Körper sind, und dass er alles ist, was wir sind.

In der Meditation aber machen wir die Erfahrung, dass wir reines Gewahrsein sind, das umfassende Bewusstseinsfeld des liebevollen Beobachters.

Der Raum, in dem alle menschlichen Erfahrungen wahrgenommen werden.

Wir sind geistige Wesen, die eine körperliche Erfahrung machen.

Wir können unsere täglichen Entscheidungen durchaus ohne Angst, mit realistischem Menschenverstand und gesunder Vorsicht treffen.

Wir können dabei aus dem Motiv der Liebe zu uns selbst und für unsere Mitmenschen handeln statt aus Angst.

Die grösste Sicherheit, die wir in dieser polaren Welt der Gegensätze erfahren können ist, wenn wir uns in das Bewusstseinsfeld der Liebe aufschwingen.

Dabei lassen wir bewusst unsere verurteilenden Gedanken, unsere Beschuldigungen und Vorwürfe los, die letztlich nur unsere eigene Selbstverurteilung, unbewusste Schuld und somit die Angst vor Gegenangriffen von „da draussen“ verstärken.

Wir erkennen, die Bindungs-Verwundungen und Verletzlichkeit des unschuldigen kleinen Kindes in uns und anderen, die zu dem limitierenden isolierendem Glaubenssystem der Angst geführt haben.

Jede Angst, die wir willkommen heissen, ist eine Chance, unserem verwundeten innerem Kind, das sich dahinter meldet, Liebe und Zuwendung zukommen zu lassen.

Die Welt der Angst existiert in uns, wenn wir durch die verzerrte Brille des kleinen verwundeten inneren Kindes auf die Welt und unsere Mitmenschen schauen.

Durch Selbst-Liebe können wir die Angst loslassen und wieder in die Gegenwart der Liebe eintreten.

Die therapeutische klinische Erfahrung zeigt, dass hinter Ängsten, oder gewissermassen eine Stufe tiefer im Bewusstsein, oft eine verdrängte Wut (und noch tiefer ein alter kindlicher Schmerz und Schuld/Schamgefühle) stecken.

Aus Angst vor Liebesverlust und Sicherheit wurde diese verdrängt, wandelt sich so in Angst und wendet sich gegen uns selbst.

Deshalb gilt es in der Sicherheit der Therapie, diese verdrängten tieferen Emotionen bewusst zu spüren, zuzulassen und die Vorwürfe und die dahinterliegenden Wünsche und Sehnsüchte begleitet in einem geschützten Raum auszudrücken.

Was uns in unserem äusseren Leben aufregt, weist auf unsere eigenen ungeheilten negativen Selbstkonzepte hin.

Wir leiden unter einem alten falschen Selbstbild.

Die Person, auf die wir wütend sind („Du machst mich wütend!“), zeigt uns etwas in uns selbst, was nach Beachtung und Liebe (von uns selbst) schreit.

Der andere ist lediglich der Trigger, der die alten Gefühle kindlicher Verletzungen in uns ans Licht bringt.

Bei einer solchen Triggerung könnten wir bewusst einen Schritt zurück oder an die Seite treten, und uns selbst fragen:

Auf welche Weise spiegelt die wahrgenommene Unfreundlichkeit dieses Menschen, wie ich einen Teil in mir selbst ablehne, nicht beachte, nicht annehme und mich selbst nicht liebe und (noch nicht) konstruktiv für mich sorge?

Vom Ort des verletzten inneren Kindes aus, verlangen wir unbewusst immer noch unbedingte Liebe von Vorgesetzten, Kollegen, Liebhabern und werden rasend enttäuscht-wütend, wenn diese uns anscheinend nicht geben, was wir als heutige Erwachsene noch zu brauchen meinen.

Menschen, die mit ihren kindlichen Bindungsverletzungen nicht ausgesöhnt sind und sich selbst schlecht versorgen, erleben sich selbst als unvollständige Mängelwesen und sich deshalb rasch und wiederholt als Opfer der Welt.

Wenn uns jemand erniedrigt oder schlecht behandelt, ist es möglich- und übrigens auch viel effektiver-  in einer nicht getriggerten Art und Weise zu antworten.

Wenn wir uns um uns selbst liebevoll kümmern, werden wir fähig sein, ruhig und bestimmt gesunde Grenzen auszudrücken ohne zornige Defensivität.

Dies zu üben reduziert irrationale Ängste deutlich.

Andere Menschen sind die Projektionsleinwand für eigene innere Unfreundlichkeit.

Wir können jede Streitsituation anstelle einer verletzenden auch als eine segnende Erfahrung mit Chancen von Selbsterkenntnis und tieferer Selbstliebe sehen.

Ich stelle mir die Person vor, auf die ich wütend bin.

Was genau ist es, worum es mir dabei geht?

Welches grundlegende Bedürfnis liegt dahinter?

Wie sorge ich selbst bisher aktiv in meinem Leben für dieses Bedürfnis?

Kann ich dankbar erkennen, dass die äussere Person mir einen unversorgten, unbeachteten und ungeliebten Teil in mir zeigt, der meine liebevolle Aufmerksamkeit und Fürsorge verlangt?

Wenn ich diese Erfahrung als Chance sehe, mich von den unbewussten Ketten meiner Selbstverurteilung und -Verdammung zu befreien, kann die Situation von ihrer emotionalen Ladung befreit werden und mir mittelfristig selbst als Segen für mehr (Selbst-) Mitgefühl dienen.

Wenn ich durch diese Person erkenne, wie ich mich seit langem selbst misshandele.

Ich kann und muss mich dann situationsadäquat immer noch gesund abgrenzen oder proaktiv meine berechtigten Bedürfnisse in der Situation ausdrücken, oder aber ich kann -in Frieden- die Situation oder Person verlassen, ohne die Person verteufeln zu müssen und über destruktiven Hass weiter an sie gebunden zu bleiben.

Die grundlegende Ursache von -zumindest psychosomatischer -Krankheit und Leiden liegt in unserem Geist: es ist ein Mangel an Zufriedenheit und die Folge der süchtigen Eigenschaft des „nicht gut genug“ und des „immer mehr“!

Es ist letztlich häufig ein Mangel an (Selbst-) Liebe.

Vorstellungen und Erwartungen sind Ausdruck unseres kleinen falschen Ichs (eines illusionären Mangelgedankens), das ständig etwas im Aussen anders will, um sich gut und ganz zu fühlen.
Suchen ohne dauerhaft zu finden schafft Leid und Unfrieden.
Das Wollen und Suchen loszulassen ist der Schlüssel zu Glückseligkeit und innerem Frieden.
Insbesondere dann, wenn du emotional leidest, sage dir: “Ich erlebe das, ich nehme das wahr, aber ich bin es nicht! 

Die wahrgenommene Welt ist in mir, in meinem Bewusstsein, mitsamt meinem Körper. Ich nehme nur wahr, was geschieht! Es ist nur mein Film!

Übe dich darin, auch Symptome, wie ein interessierter Beobachter wahrzunehmen, ähnlich wie ein Wissenschaftler, der ein neues Phänomen entdeckt hat.

Einfach nur wahrzunehmen anstatt dich andauernd zu wehren und dein Leiden dadurch zu vermehren.

Ich bin nicht, was ich wahrnehme. 

Und wenn ich etwas anderes fühle als Liebe und Akzeptanz, so kommt das -radikal gesprochen-letztlich nur daher, weil sich in meiner subjektiven Vorstellung etwas vor die Liebe und den Raum des Friedens , die ich wesenhaft bin, zu schieben scheint. 

Schließlich sind mein Körper, meine Gedanken, meine Gefühle Teil dieses Films, doch die Leinwand dahinter – meine wahre Natur – bleibt davon unberührt.

Stell dich neben dein wütendes, ängstliches, trauriges „kleines Ich” und lass ihm als liebevoller Zeuge Mitgefühl zukommen. 

Sich von anderen nicht geliebt zu fühlen, kann unseren Geist mit archaischen Überlebensängsten füllen.

Deine Angst basiert auf der illusionären Vorstellung deines bindungsverletzten inneren Kindes, du seiest auf irgendeine unbestimmte Art falsch, schlecht, nicht liebenswert, und du unbewusst aus diesem irrationalen Grund dein Überleben als gefährdet erlebst.

Dabei erzählst du dir immer wieder im Geiste quasi als Unterton deines Lebensfilmes die zwangswiederholte Problem- und Mangelgeschichte deiner unverarbeiteten Kindheit.

Du lebst an deine Vergangenheit gekettet in einer Problemtrance und verpasst die immer neue und frische Gegenwart, wo du als Erwachsener Mitschöpfer statt passives Opfer deiner Erfahrungen sein könntest.

Wer wärest du ohne deinen Glauben an die ständig im Geiste wiederholte Geschichte (des Ungeliebtseins), die dir dein Kopf erzählt?

Wenn du Angst empfindest, frag dich sofort:

Welche Geschichte erzählt mein Kopf mir da gerade?

Du wirst dann die unwahre Geschichte aus der Perspektive innerer verletzter Kinder darüber hören, warum du nach wie vor nicht liebenswert bist.

Diese alte leidverewigende Geschichte gilt es loszulassen.

Wenn du spürst, wie Angst deinen Körper und Geist zu überfluten droht, kannst du bewusst ganz tief und langsam ausatmen und zu dem ängstlichen Teil, der sich da meldet, sagen: Ich liebe dich.

Nimm diesen Teil in dein Herz, heiss ihn willkommen und umhülle ihn mit liebevoller Annahme.

Atme heilende Wärme und Licht aus deinem Herzen in die betreffende Körperstelle, wo du die Angst am meisten spürst.

Du kannst durch deine Angst hindurchatmen bis zu immer grösserer bedingungsloser Selbstannahme und Selbstliebe.

Es gilt heimzukehren von der Angst ins Haus der Liebe.

Wo dein wahres unzerstörbares Selbst ewig wohnt.

Angst, nicht liebenswürdig zu sein, ist dort der Fremde.

Deine Seele ist komplett liebenswert.

Für welche Sichtweise entscheidest du dich?

Wisse, dies bestimmt dein Leben.

Stell dir vor, wie es sich im Körper anfühlt, im Haus bedingungsloser Liebe zu wohnen. 

Umgeben von bedingungsloser Liebe, Freundlichkeit, Respekt und Unterstützung.

Dort ist deine wahre Heimat.

Hier ist Frieden.

Die Erkenntnis, wer du wirklich bist, findet statt, wenn du, während du alles wahrnimmst, was sich ereignet, einfach bei dir bleibst.

Derjenige, welcher wahrnimmt, das bist du wirklich!

Komm in die Gegenwart!  Ganz ins Jetzt!

In der Gegenwart kann das falsche kleine Ich mit seinen vergangenheits- und zukunftsbasierten Wahn-Vorstellungen nicht überleben.
So erreichst du deine wahre Natur, die nicht-urteilendes Gewahrsein und bedingungslose Liebe ist.

Die Liebe ist deine Heimat.

Angst ist hier ein Fremder.

Unser aller Leben ist ein grosses Abenteuer zu wachsen und eine gemeinsame Reise zurück zur Liebe.

Dr. med. Wolf-Jürgen Maurer

Literaturhinweise:

Weiterführende Hörbücher

Psychosomatik Scheidegg

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