Bewusstseinstexte Dr. W.-J. Maurer

Don´t judge

von Dr. med. Wolf-Jürgen Maurer

 

– „schaun wir mal, dann sehn wir schon!“

Wir erschaffen das, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten – sei es gut oder schlecht. Unsere Gedanken und unsere Geschichten, die uns unser Kopf erzählt, formen die Welt in der wir leben.

Urteilen macht einen großen Teil dessen aus, was wir sind.

Unser Ich wird geformt durch Gedanken, die auf Urteilen und der vorgestellten Trennung von Anderen basieren. Damit trennen wir uns von der Liebe und erschaffen mit diesem isolierten kleinen Angst-Ich, dem Ego, das sich als gefährdete Insel erlebt, eine Welt voller projizierter Bedrohungen und Schrecken.

Dies zeigt die nacherzählte alte folgende Geschichte.

Diese trug sich zur Zeit Laotses in China zu:

Ein alter Mann lebte in einem Dorf, sehr arm, aber selbst Könige waren neidisch auf ihn, denn er besaß ein wunderschönes weißes Pferd… Könige boten phantastische Summen für das Pferd, aber der Mann sagte dann: „Dieses Pferd ist für mich kein Pferd, sondern wie ein Mensch. Und wie könnte man einen Menschen, einen Freund verkaufen?“ Der Mann war arm, aber sein Pferd verkaufte er nie.

Eines Morgens fand er sein Pferd nicht im Stall. Das ganze Dorf versammelte sich und die Leute sagten: „Du dummer alter Mann! Wir haben immer gewusst, dass das Pferd eines Tages gestohlen würde. Es wäre besser gewesen, es zu verkaufen. Welch ein Unglück!“

Der alte Mann sagte: „Geht nicht so weit, das zu sagen. Sagt einfach: das Pferd ist nicht im Stall. Soviel ist Tatsache; alles andere ist Urteil. Ob es ein Unglück ist oder ein Segen, weiß ich nicht, weil dies ja nur ein Bruchstück ist. Wer weiß, was darauf folgen wird?“

Die Leute lachten den Alten aus. Sie hatten schon immer gewusst, dass er ein bisschen gaga war. Aber nach fünfzehn Tagen kehrte eines Abends das Pferd plötzlich wieder zurück. Es war nicht gestohlen worden, sondern in die Wildnis ausgebrochen. Und nicht nur das, es brachte auch noch ein Dutzend wilder Pferde mit.

Wieder versammelten sich die Leute und sie sagten: „Alter Mann, Du hattest Recht. Es war kein Unglück, es hat sich tatsächlich als ein Segen erwiesen.“ Der Alte entgegnete: „Wieder geht Ihr zu weit. Sagt einfach: das Pferd ist zurück… wer weiß, ob das ein Segen ist oder nicht? Es ist nur ein Bruchstück. Ihr lest nur ein einziges Wort in einem Satz – wie könnt Ihr das ganze Buch beurteilen?“

Dieses Mal wussten die Leute nicht viel einzuwenden, aber innerlich wussten sie, dass der Alte Unrecht hatte. Zwölf herrliche Pferde waren gekommen…

. . . . .

Der alte Mann hatte einen einzigen Sohn, der begann die Wildpferde zu trainieren. Schon eine Woche später fiel er vom Pferd und brach sich die Beine. Wieder versammelten sich die Leute und wieder urteilten sie. Sie sagten: „Wieder hattest Du Recht! Es war ein Unglück. Dein einziger Sohn kann nun seine Beine nicht mehr gebrauchen und er war die einzige Stütze deines Alters. Jetzt bist Du ärmer als je zuvor.“

Der Alte antwortete: „Ihr seid besessen vom Urteilen. Geht nicht so weit. Sagt nur, dass mein Sohn sich die Beine gebrochen hat. Niemand weiß, ob dies ein Unglück oder ein Segen ist. Das Leben kommt in Fragmenten und mehr bekommt Ihr nie zu sehen.“

Es begab sich, dass das Land nach ein paar Wochen einen Krieg begann. Alle jungen Männer des Ortes wurden zwangsweise zum Militär eingezogen. Nur der Sohn des alten Mannes blieb zurück, weil er verkrüppelt war. Der ganze Ort war von Klagen und Wehgeschrei erfüllt, weil dieser Krieg nicht zu gewinnen war, und man wusste, dass die meisten der jungen Männer nicht nach Hause zurückkehren würden.

Sie kamen zu dem alten Mann und sagten: „Du hattest Recht, alter Mann – es hat sich als Segen erwiesen. Dein Sohn war zwar verkrüppelt, aber immerhin ist er noch bei dir. Unsere Söhne sind nun für immer fort.“

Der alte Mann antwortete wieder und sagte: „Ihr hört nicht auf zu urteilen. Niemand weiß! Sagt nur dies: dass man Eure Söhne in die Armee eingezogen hat und dass mein Sohn nicht eingezogen wurde. Doch nur Gott, nur das Ganze weiß, ob dies ein Segen oder ein Unglück ist.“

Wie schnell werten, interpretieren und urteilen wir doch!?

Je mehr wir im Stress sind, um so schneller. Und dann fahren wir auf Autopilotmodus und legen Schablonen der Bewertung aus unserer Vergangenheit an, um die Gegenwart zu beurteilen und so rasch eine vermeintliche Kontrolle zurückzuerlangen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Wir projizieren dabei nur unsere Vergangenheit und sind gar nicht offen für das Hier und Jetzt. Wir produzieren dabei jede Menge schmerzlicher Gefühle –bei uns und bei anderen- und sabotieren dabei uns selbst. Diese ganze Bewertungsnummer ist der direkte Fahrstuhl zur Hölle und ein leider häufig befahrener Weg, wie Menschen sich selbst deprimieren.

Wir greifen zu Werturteilen, um das Gefühl unserer eigenen Unzulänglichkeit, unsere Unsicherheiten und unser mangelndes Selbstwertgefühl nicht spüren zu müssen.

Beobachten Sie, wie Sie mit Ihrer wertenden Haltung sich aber selbst die Zufriedenheit rauben, und Ihr Gefühl verstärken, von anderen getrennt zu sein, was stets zu Angst und Schmerz führt.

Gehen Sie in die Achtsamkeit und schauen Sie einmal liebevoll hin, was Sie so alles denken, sagen und tun. Auf diese Weise werden Sie erkennen, dass Ihr Gefühl von Getrenntheit und das Abgeschnittensein vom Strom der Liebe aus eben dieser wertenden Haltung resultiert und dies körperliche Beschwerden produziert und sie schwächt. Ein buddhistisches Sprichwort sagt: Über jemanden zu urteilen ist wie Gift zu schlucken und dann darauf zu warten, dass jemand anderes stirbt.

Wann immer wir merken, dass wir nicht im Frieden sind und sich unser Leben nicht im natürlichen Fluss befindet, ist das ein Hinweis darauf, dass wir uns in eine falsche innere Haltung des Wertens begeben haben. Unsere Urteile begegnen uns oft in Form von Ärger, Angst, Scham und Selbstwertkrisen, Depression, Kränkbarkeit, Eifersucht, Vergleichen und Neid. Welche Geschichten wir auch immer in unserem Kopf erzählen und projizieren, sie entscheiden, wie wir unser Leben und andere Menschen wahrnehmen.

Wenn Sie die kraftraubenden Negativfolgen Ihres automatischen Wertens und Urteilens, die wie ein Bumerang auf Sie zurückkommen, erkennen, wollen Sie sich vielleicht entschließen, weniger zu werten und zu urteilen. Gehen Sie dabei bitte liebevoll und nicht gleich wieder selbstverurteilend mit sich selbst um. Sie können sich fragen, ob Sie nicht stattdessen Frieden wählen möchten und sich verbinden, nachzufragen, zuzuhören statt vermeintlich Recht zu haben und ihren Groll oder Angst die Liebe verdunkeln zu lassen. Das heißt nicht , dass Sie nie Grenzen setzen, aber der andere braucht ihre klare Positionierung und ggf. ein klares Nein, nicht aber Ihren Vorwurf oder Beschuldigungen!

In Bayern ticken die Uhren und die Menschen bekanntlich etwas anders. Hier sagen wir: „Schau´n wir mal, dann sehn wir schon!“

Das klingt nicht ganz so schnell, so dass hier die Chance besteht, dass die Unglücksfalle des Wertens und Urteilens nicht ganz so abrupt zuschnappt. Erst schauen, achtsam sein, Gedanken beobachten, atmen nicht vergessen, radikale Akzeptanz dessen, was ich gerade erlebe, die Dinge sich entwickeln lassen, offen bleiben, bei den nackten Fakten bleiben und diese nicht sofort mit meinen Interpretationen vermischen, um mich nicht in einen Tunnelblick zu verirren. Das Herz offen halten statt kopf zerbrechen.

Wenn wir uns für die Liebe statt für die Angst entscheiden, wählen wir Frieden als unser oberstes Ziel.

Lieben heißt nicht Urteilen, Lieben heißt, die Angst verlieren. Und innerer Frieden bedeutet Freiheit, Glück und Heilung.

Und das wünsche ich Ihnen von Herzen,

Dr. Wolf Maurer

 

Weiterführende Hörbücher:

PSS 3, 7, 8, 18, 19, 23, 25, 26, 27

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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